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  • Politik
  • Ljudmila Ulitzkaja erzählt von Sonetschka

Friedliche Seele

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Man wird den Eindruck nicht los, daß es diese Sonetschka wirklich gibt und daß sie der Autorin gut bekannt ist. So viele Kleinigkeiten weiß sie von ihr, die sich eigentlich niemand ausdenken kann. »Ein Menschenschicksal« - der Titel von Scholochows berühmter Erzählung paßt auch auf dieses Werk von Ljudmila Ulitzkaja, bei dessen Lektüre immer wieder Erinnerungen an Tschechows Erzählkunst wachwerden.

Der Lebensweg einer russischen Frau, der eigentlich nichts Besonderes hat: Als junge Bibliothekarin lernte Sonetschka Anfang der 30er Jahre einen älteren russischen Maler kennen, der in der Pariser Emigration zur Berühmtheit geworden war, den sie aber nach seiner Rückkehr in die UdSSR ins Lager gesteckt hatten. Sie liebte und bewunderte ihn, teilte mit ihm Verbannung und Not, lobte jeden Augenblick des Glücks, brachte eine Tochter zur Welt, ernährte die Familie mit Hilfe einer von der Mutter geerbten Nähmaschine, sah sich in ihrem Glauben bestätigt, als nach dem Krieg das Talent ihres Mannes wiederentdeckt wurde, erschrak für einen Moment, als Robert Viktorowitsch eine Affaire mit einer Freundin ihrer Tochter begann, was ihrer Liebe zu dem Mädchen aber keinen Abbruch tat, und als der Mann gestorben war, lebten die beiden Frauen noch eine Weile zusammen. »Sonetschka kümmerte sich zärtlich um Jasja und empfand ehrliche Dankbarkeit für das Schicksal, das ihrem teuren Mann Robert auf seine alten Tage eine solche Zierde, einen solchen Trost gesandt hatte.«

Der ruhige Ton des Erzählens dürfte täuschen. Denn die Geschichte weckt inneren Widerstreit. Eine Frau, die nur gibt

und dabei die ganze Zeit meint, ihr würde Glück geschenkt - erklärt sich das daraus, daß Sonetschka als Kind und junges Mädchen ihre entscheidenden Prägungen durch die russische Literatur gewann, die - das weiß man ja - weitgehend einem patriarchalischen Frauenideal huldigte? Oder sollte ihre Duldsamkeit das ganze russische Volk betreffen? Wollte die Autorin sich mit der Langmut auseinandersetzen, bei Lesern den Wunsch wecken, Sonetschka möge doch mal aufbegehren und ihre Selbstverwirklichung einklagen, so wie es die Gleichberechtigung erfordert und wie es Frauen heute gemeinhin von sich selbst verlangen?

Wäre die Geschichte so erzählt - würde sie da Interesse finden? Wenn Literatur nur die verbreiteten Meinungen wiederholt, vermag sie kerne geistigen Impulse zu geben. Das Irritierende ist doch, daß Sonetschka sich anders verhält und auch anders fühlt, als zu erwarten gewesen wäre. Sie leidet nicht. Irgendein Wundermittel muß sie haben, das sie schützt. Ob es ihre Träumerei ist? Aber sie las doch kaum mehr, seit sie verheiratet war. Wahrscheinlich ist es eine ganz tief verwurzelte Güte, die sie hindert, von anderen Menschen schlecht zu denken und die sie dadurch selbst wie eine Schutzschicht umgibt. Mit Duldsamkeit hat das eigentlich nichts zu tun, eher mit einer Anschauung vom Leben, die früher vielleicht verbreiteter war. Die wir verloren haben. Alle anderen Gestalten im Buch -Robert Viktorowitsch, die Tochter Tanja, die Freundin Jasja gehen die üblichen Wege des Strebens. Nur Sonetschka ist anders. Fast möchte man sie beneiden um ihre Gelassenheit.

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