Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Dem Heldentenor Rene Kollo zum 60. Geburtstag

Berliner Schnauze mit Goldkehle

  • Günter Görtz
  • Lesedauer: 5 Min.

Renö Kollo als strahlender Held Lohengrin -so lieben ihn seine Opernfreunde und so schmückt er nun auch das Buch zum Geburtstag, das ihm der Parthas Verlag widmete. Wen distanzlose Verehrung in Bild und Wort, in Arbeitsbericht und Biografie nicht stört, dem sei das Buch empfohlen. Und natürlich sollte es in keiner Fanclub-Bibliothek fehlen.

Rene Kollo. Hg. von Jasmin Kassai und Jürgen Haase. Parthas Berlin. 117 S., geb., 58 DM. Das Foto auf dem Buchtitel, von dem wir einen Ausschnitt zeigen, stammt von Siegfried Lauterwasser

Zu Kampf und Streite will ich stehen, sei's auch auf Tod und Untergehen!« Wenn Rene Kollo das als aufmüpfiger .Tannhäuser in der herausragenden 92er Inszenierung Götz Friedrichs in der Deutschen Oper Berlin schmettert, wird man Zeuge einer der größten sängerischschauspielerischen Leistungen des Heldentenors. Erstaunlich, daß er stimmlich und körperlich dieser stundenlangen Bühnentortur noch gewachsen ist. Immerhin, heute feiert er seinen 60. Geburtstag. Ein Alter, in dem viele Kollegen seines Fachs lediglich warme Luft produzieren. Denn ein Geheimnis ist es nicht, Wagner strapaziert die Stimmen mehr als Verdi.

Eigentlich schienen die musikalischen Weichen im Sinne der Familientradition Kollo gestellt: Großvater Walter Kollo hatte immerhin die Berliner Operette mitgeprägt, Sohn Willi trat in dessen Fußstapfen, schuf Hits für Bühne und Film. Da mochte es kaum verwundern, als Sohn Rene 1959 mit »Hello, Mary Lou« als Schlagersänger einen Hit landete, der sich immerhin 125OOOmal verkaufte. Das machte Jung-Rene bereits zum Star, ehe er einer als Jung-Siegfried in einem anderen Metier werden sollte. Aber leichte Unterhaltungsliedchen trällern war für den späteren schweren Tenor mehr als eine Jugendsünde. Es half, schmale Kasse aufzufüllen, um das Gesangsstudium bei Elsa Varena, 1965 beendete er es, bezahlen zu können. Mit der Lehrerin hatte er Glück gehabt. Immerhin sorgte sie neben der Vermittlung stimmtechnischer Grundlagen wohl auch für das notwendige Selbstwertgefühl. Was ihm im Laufe seiner Karriere auch den Ruf einbrachte, ein schwieriger Partner zu sein. “ Aber welcher Weltstaf ist das nicht. Und zum Weltstar wurde Rene Kollo er-

staunlich schnell, was nicht nur dem permanenten Mangel an jungen Heldenstimmen im Wagner-Fach geschuldet ist. Zuerst aber ging er als lyrischer Tenor in die Provinz ans Staatstheater Braunschweig. Vom Intendanten Hellmuth Matiasek geholt und vom damaligen GMD Heribert Esser wenig geliebt. Wohl nicht zuletzt, weil Kollo mit seiner Berliner Kodderschnauze versuchte, eigene musikalische Auffassungen durchzusetzen, was einem Anfänger selbstverständlich nicht zusteht. Überhaupt lieben Dirigenten und Regisseure es, wenn Sänger sich dienend ihren genialen Ideen ausliefern. Wenn sie Eigenes wollen, sollen siege- ( fälligst Liederabende geben. Kollo spielte da von Anbeginn nicht mit, beugte sich später selbst solchen Musiktyrannen wie Karajan nicht, ließ es auf Brüche ankommen.

Die weitere Ochsentour durch die Provinz blieb ihm erspart. 1967 folgte das Engagement an die Deutsche Oper am Rhein, und hier holte ihn dann auch die leichte Muse wieder ein in Gestalt der Schlagersängerin Dorte - sie heirateten.

Als Wolfgang Wagner ihn 1969 als Steuermann im »Fliegenden Holländer« für die Bayreuther Festspiele engagiert, beginnt die internationale Karriere des Sängers. Die Mailänder Scala, die Staatsoper Wien, Salzburg, Covent Garden London, Staatsoper München, die San Francisco Opera, die Met in New York und immer wieder die Deutsche Oper Berlin werden seine bevorzugten Arbeitsplätze. Aber nicht nur im Wagner-Fach, sein Tristan erhielt höchstes Lob, hatte er Erfolg. Auch als Fidelio oder Bacchus in Strauss' »Ariadne auf Naxos«, als Max in Webers »Freischütz«, als Cassio im Bajazzo oder als Othello applaudierte ihm das Publikum, wie auch als Peter Grimes in Brittens gleichnamiger Oper. Mit dem »Palestrina« scheint.Intendant GötzxFriedrioh einem; seiner Lieblingssänger einen besonderen Wunsch erfüllt zu haben,---als

er 1995 eine recht angejahrte Inszenierung in das Repertoire wieder aufnahm. Der jüngste Erfolg mit der Deutschen Oper Berlin war der Kurfürst »Prjnz vpn Hotnbürg« (Hans-Werner'He'nze) in der fhs2enl'erüng'Götiz t Friöä ; richä. u :>l ?'? “ .....“

Wenn Kollos erste Ehe auch 1976 geschieden wurde, war es keine Scheidung von der Kunst der Unterhaltung, denn im Fernsehen moderierte er »Ich lade gern mir Gäste ein« (1977). Und als die Wende- und Nachwendewirren das tra-

ditionsreiche Metropol Theater in Existenznöte geraten ließen, erschien er den Operetten-Liebhabern und dem Theater als rettende Lichtgestalt. 1996 übernahm er die Intendanz. Vollmundig verkündete er, die Operette vom Staub befreien und modern spielen zu wollen, ohne dem Genre Gewalt anzutun. Er hat es nicht geschafft. Ihm bleibt der traurige Ruhm, den 100. Geburtstag des Theaters verhindert, es in den Konkurs geführt und 380 Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit geschickt zu haben. Zwar meint der Tenor, neben dem Gesangstalent auch dirigentisches Vermögen und Regietalent zu haben - die »Lustige Witwe« im Metropol war eher eine Ausstattungsorgie -, über die Talente eines Intendanten verfügt er nicht. Das ist endgültig bewiesen. Wie er durch eine unglückliche Besetzungspolitik innerhalb eines Jahres ein Ensemble dermaßen zerstörte und leichtfertig mit den vom Berliner Senat immer wieder reduzierten Mitteln umging, war der Gipfel von Talentlosigkeit zumindest in der Führungskunst. Dem Ganzen böswillige Vorsätzlichkeit zu unterstellen, wäre zu einfach. Einen umhätschelten Sängerstar mit traditionsreichem Namen, mag er sich gesagt haben, kann man nicht im Regen stehen lassen. Er vertraute mündlichen Zusagen, wo er der Doppelzüngigkeit von Politikern hätte mißtrauen sollen - ob Kultursenator Radunski so taktlos sein wird, ihm als einem der prominenten Künstler Berlins Geburtstagsgrüße zu schicken?

Mehr Wohlgefallen wird der Künstler an dem Bildband »Rene Kollo« finden, den der Parthas Verlag Berlin ihm zum Geburtstag widmet: eine als Bildband kaschierte PR-Broschüre. Die Autoren Jasmin Kassei und Jürgen Haase präsentieren eine Sammlung von Privatfotos und Szenenbildern, deren künstlerischer Wert selten über denen von Autogrammkarten liegt. Lediglich die Eitelkeiten eines Sängers werden hier in denkbar flacher Art befriedigt. Ein Vorteil des Buches: Die knappen, sehr allgemein gehaltenen Texte lassen viel Raum für Autogrammsammler.

Demnächst ist Kollo wieder als Siegfried zu hören. Wünschen wir ihm, daß er als Sänger wie bisher den langen Atem behält, den er als Theaterleiter leider vermissen ließ.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.