Bin Laden träumt von der Bombe

Ziel ist globales Sicherheitssystem für Atomanlagen und radioaktives Material

  • Dr. Wolfgang Kötter
  • Lesedauer: 4 Min.
Morgen beginnt in London eine internationale Konferenz über Nuklearsicherheit.
Rund 200 Fachleute beraten in dieser Woche im Mermaid Conference & Events Centre der britischen Hauptstadt gemeinsam mit Vertretern der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), der Europäischen Kommission, der OSZE, von Europol und Interpol sowie der Weltzollorganisation über eine umfassende multilaterale nukleare Sicherheitsstrategie. Denn es ist nicht völlig auszuschließen, dass es Terroristen gelingt, einzelne der weltweit etwa 28000 Atomsprengköpfe zu erwerben.
Untersuchungen bestätigen, dass Terroristen grundsätzlich in der Lage wären, einen nuklearen Sprengsatz auch selbst zu bauen. Das Wissen dafür ist frei verfügbar und die Prinzipien von Kernwaffen wie auch spezifische theoretische Grundlagen sind sogar im Internet nachzulesen. Es ist demnach ohne große Schwierigkeiten möglich, einen einfachen Kernsprengkörper zusammenzubauen, der lediglich zwei Mengen von hochangereichertem Uran zur Kernspaltung bringt.
Doch die Folgen wären katastrophal: »Würde in New York oder London oder Paris oder Berlin ein terroristischer Anschlag mit Nuklearwaffen verübt«, warnt UNO-Generalsekretär Kofi Annan, »kämen nicht nur Hunderttausende Menschen sofort ums Leben, sondern auch die Weltwirtschaft könnte einen vernichtenden Schock erleiden, der Millionen in den Entwicklungsländern in Armut stürzt.«
Die entscheidende Schwelle ist die Beschaffung des atomaren Brennstoffs, denn nur metallisches Plutonium oder hochangereichertes Uran (HEU) können direkt in Kernwaffen eingesetzt werden. Eine Anfängergruppe brauchte für einen Sprengkopf etwa 20 Kilogramm HEU oder 6 bis 8 Kilogramm Plutonium. Nach Angaben des »Bulletin of the Atomic Scientists« existieren gegenwärtig insgesamt 3755 Tonnen nukleares Spaltmaterial. Allein in Forschungsreaktoren von 27 Ländern lagern insgesamt 1300 Kilogramm HEU.
Die gewaltige Menge auf der ganzen Welt verstreuter Spaltstoffe bildet eine hochgradige Gefahrenquelle. »Es gibt einen Schwarzmarkt für radioaktives Material«, warnt der Anti-Terror-Koordinator der EU, Gijs de Vries. Seit 1993 habe die IAEA über 600 Fälle aufgelistet, in denen nukleare oder andere radioaktive Substanzen gehandelt wurden. Wie der internationale Schmuggelring um den pakistanischen Atomwissenschaftler Abdul Quader Khan zeigt, ist für mehrere hundert Millionen Dollar auf dem »nuklearen Supermarkt« von der Blaupause für den Bau der Bombe bis zur Urananreicherungs-Technik und nuklearem Spaltmaterial alles zu haben.
Osama bin Laden hat wiederholt Interesse an Kernwaffen geäußert und offensichtlich auch versucht, sich Nuklearmaterial zu verschaffen. Nachdem im vergangenen Januar erstmals in Deutschland ein Verdächtiger verhaftet wurde, der hochangereichertes Uran für das terroristische Netzwerk beschaffen wollte, sprechen Sicherheitsexperten von einer neue Qualität der Gefahr. Die IAEA beobachtet ein wachsendes Interesse der Terroristen am Erwerb von Nuklearwaffen: »Ich kann nicht hundertprozentig ausschließen, dass es bereits geschehen ist«, räumt El-Baradei ein.
Als noch wahrscheinlicher gilt der Einsatz eines radiologischen Sprengsatzes, bei dem es zwar zu keiner nuklearen Kettenreaktion kommt, aber durch eine herkömmliche Explosion weiträumig radioaktiver Staub verbreitet wird. Durch eine solche »schmutzige« Bombe kann ein Stadtteil mit mehreren tausend Einwohnern langfristig verstrahlt und unbewohnbar werden.
Geeignet und relativ leicht zu beschaffen sind radioaktive Stoffe aus der Wiederaufbereitung in Atomkraftwerken oder Forschungsreaktoren. Cäsium, Strontium oder Kobalt werden millionenfach in Krankenhäusern, Fabriken, Universitäten oder privaten Labors verwendet, und immer wieder verschwinden radioaktive Spaltstoffe. Erst im Februar wurde der Verlust von 30 Kilogramm Plutonium in der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield gemeldet. Angaben der »Times« zufolge sei es allein im vergangenen Jahr zu 45 Sicherheitsverstößen in atomaren Anlagen gekommen. Auch der Diebstahl von vertraulichen Informationen sowie der unberechtigte Zutritt zu Nukleareinrichtungen seien darunter gewesen. Geheimdienste befürchten außerdem, dass Terroristen möglicherweise ein vollgetanktes Passagierflugzeug in eines der weltweit 441 Atomkraftwerke lenken könnten. Die Freisetzung des radioaktiven Inventars würde das Unglück von Tschernobyl um ein Vielfaches übertreffen.
Bereits seit einigen Jahren gibt es Bemühungen, um die Sicherheitskontrollen für radioaktives Material zu verschärfen. Aber in vielen Ländern fehlen dazu das Geld und die Infrastruktur, während andere Riesensummen für militärische Interventionen verwenden. Rund 50 Milliarden Dollar würde eine weltweite Lösung der nuklearen Sicherheitsprobleme kosten. Die USA haben sechs mal so viel allein für die Militäreinsätze in Irak und Afghanistan ausgegeben. Letztlich kann das Problem nuklearer Sicherheit jedoch nur durch multilaterale Kooperation und globale Abrüstung bewältigt werden.



Als Varianten des Nuklearterrorismus halten Experten vier Szenarien für vorstellbar:

-Bau eines nuklearen Sprengsatzes
-Diebstahl einer Atomwaffe
-Zündung einer radiologischen Bombe
-Angriff auf ein Atomkraftwerk


Atombehörde

Der Aufgabe, atomare Anlagen zu schützen und einen unbefugten Zugriff zu Kernmaterial zu verhindern, widmet sich die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) seit ihrer Gründung im Jahre 1957. Mit dem In-Kraft-Treten des Atomwaffensperrvertrages erhielt sie 1970 zusätzlich den Auftrag, als »nuklearer Wachhund« zu kontrollieren, ob radioaktives Material aus dem zivilen Bereich zu verbotenen militärischen Zwecken abgezweigt wird.
Zwar gibt es bereits mehrere internationale Vereinbarungen zum physischen Schutz von Nuklearmaterial, aber das Problem erhält durch die Gefahr des internationalen Terrorismus eine neue Dimension. Nach Einschätzung von IAEA-Generaldirektor El-Baradei sind Terroranschläge mit Kernwaffen eine echte und unmittelbare Bedrohung.
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