- Politik
- Zum 60. Jahrestag des Nanking-Massakers
Die Lüge auf Papier löscht blutige Taten nicht aus
Lügner glauben, wenn sie andere Menschen des Lügens beschuldigen, könnten sie sich selber als ehrliche Menschen ausgeben. Ein in Deutschland bekanntes Beispiel war die sogenannte Auschwitz-Lüge, zwar eine Seltenheit, die jedoch ihresgleichen findet, nämlich in Japan.
Es ist gar nicht lange her, daß der frühere Justizminister des Großen Nippon-Reichs öffentlich behauptete, das Nanking-Massaker 1937 sei nicht mehr als eine »Lüge«. Als ob das noch nicht überzeugend genug gewesen wäre, folgte ihm sein Kollege, der Exumweltminister, mit der Äußerung, daß Japan im Zweiten Weltkrieg ursprünglich nicht die Absicht gehabt hätte, andere Länder zu besetzen, aber als das geschah, sei es für die betroffenen Länder »von Nutzen« gewesen. Hört, hört!
Gefragt, warum führende japanische Politiker immer wieder Dinge sagen, die die nationalen Gefühle der Chinesen verletzen, wies der japanische Ministerpräsident bei seinem jüngsten China-Besuch auf die »Meinungsfreiheit« in seinem Land hin. Aber Freiheit ist immer mit Verantwortung verbunden. Ohne Verantwortung wird Freiheit Willkür. Ein zum Nachdenken anregendes Wort von Rosa Luxemburg: »Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.« Eine solche verantwortungslose »Freiheit« ist in Japan deswegen möglich, weil Japan - sowohl die Regierung als auch das Volk - sich gern nur als Opfer der USA-Atombomben und nicht auch als
Täter während des Zweiten Weltkrieges versteht, weil die vor einer Jahrhunderthälfte vom Internationalen Militärtribunal verurteilten und hingerichteten japanischen Kriegsverbrecher bis heute in Japan als »Helden« oder gar »Götter« verehrt werden, und zwar nicht nur vom einfachen Volk, sondern auch und in erster Linie von der Regierung, einschließlich ihres Ministerpräsidenten.
Ich habe nicht die Absicht, irgendwelche antijapanische Stimmung zu schüren. Aber ich kann die zahlreichen unschuldigen Opfer des Nanking-Massakers vor genau 60 Jahren nicht vergessen, zumal wenn die damaligen Täter heute ihre »Meinungsfreiheit« derart genießen, daß sie dieses Massaker als »Lüge« bezeichnen. Sie wollen mit einer Hand den ganzen Himmel verdecken. Aber die mit Tusche geschriebene Lüge kann die mit Blut geschriebenen Tatsachen nicht verbergen. Die Tatsachen waren und bleiben, daß zwei Tage nach dem Fall Nankings am 12. Dezember 1937 die japanischen Aggressoren anfingen, in der damaligen Kuomintang-Hauptstadt, in der nur Zivilisten zurückgeblieben waren, ein regelrechtes und systematisches Massaker zu verüben, das sechs Wochen lang dauerte und dem an die hunderttausend wehrlose Menschen, darunter viele Alte und Kranke, Frauen und Kinder auf grausamste Weise zum Opfer fielen. Plünderungen, Brandstiftungen, Vergewaltigungen und Hinrichtungen. . - die Presse berichtete von einem Wettbewerb, bei dem zwei japanische Offiziere vor ihren Kameraden miteinander wetteiferten, wer schneller und mehr chinesische Gefangene schlachten konnte, bis sich die Schneiden
ihrer Schwerter verbogen. Sie veranstalteten »Freudenfeuer« und zwangen mit Peitschen splitternackte junge Frauen und Mädchen dazu, um das Feuer zu rennen und zu tanzen. Die Kaiserliche Armee des Großen Nippon-Reichs war phantasievoll und erfinderisch, wenn es ums Quälen und Töten von Menschen ging, die in ihre teuflischen Klauen gefallen waren. Zum Hohn ließen die Japaner die für Chinesen zur Hölle gewordene Stadt als Paradies schmücken, indem sie an die Straßenkreuzungen schön gemalte und geschriebene Plakate hängten, worauf zu lesen war- »Wenn ihr der japanischen Armee vertraut, bekommt ihr Rettung und Hilfe!« Auf den Plakaten war ein japanischer Soldat zu sehen, der ein chinesisches Kind auf den Arm genommen, dem Vater Zigaretten geschenkt hatte und der Mutter seinen Essens- und Proviantnapf gab. Ein Hohn auch, daß der japanische Garnisonskommandant sich »ehrlich« beleidigt fühlte, als die wenigen in Nanking gebliebenen Ausländer bei ihm gegen die Greueltaten seiner Soldaten protestierten; er bestand darauf, daß die japanische Armee die disziplinierteste Armee der Welt sei. Als er dann doch die Greueltaten anerkennen mußte, behauptete er, daß die Chinesen selber an diesen schuld wären, weil sie, indem sie zu fliehen oder sich zu wehren versuchten, seine Soldaten zum Töten provoziert hätten. Und auch die Ausländer waren seiner Meinung nach schuld, weil sie den Chinesen geholfen hatten. - Anfang der 40er Jahre haben mich die Japaner in Shanghai gezwungen, ihre Sprache zu lernen. Leider haben sie es versäumt, mir auch ihre Logik beizubringen,
mit dem Resultat: Ich kann die Japaner nicht verstehen.
Wenn wir heute, 60 Jahre nach dem Nanking-Massaker, der Opfer gedenken, bemühen wir uns, unsere Beziehung zum einstigen Todfeind zu normalisieren und zu verbessern, denn friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit beider Länder sind nicht nur für China und Japan, sondern
auch für den Frieden in ganz Asien von Bedeutung. Freundschaft ist aber erst dann möglich, wenn Japan - wie auch Deutschland - die Verantwortung für seine Kriegsverbrechen übernimmt.
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