- Politik
- Zu Silvester vor 250 Jahren geboren: Gottfried August Bürger
»... der sich lieber aus der Welt hungerte«
Als kürzlich in diesem Blatte von dem niedersächsischen Städtchen Bodenwerder und seinem bekanntesten Sohn, dem Baron von Münchhausen, die Rede war, fand auch jener Mann Erwähnung, der die Lügengeschichten dieses Herrn aus dem Englischen rückübersetzt hat: Gottfried August Bürger. »Übersetzer« ist allerdings keine sonderlich treffende Bezeichnung für dessen Rolle bei der Entstehung dieses wahrhaftigen Volksbuchs; zusammen mit seinem Göttinger Kollegen Georg Christoph Lichtenberg gab er ihm vielmehr den sprachlichen Glanz und die präzise Form, welche dem Büchlein bis heute weitreichende Wirkung verleiht als Text, der - wie Bürger formulierte - »auf eine unschuldige Art lachen macht«. Beide erfanden auch neue Lügen-Episoden hinzu, darunter die sprichwörtlich gewordene von dem Reiter, der sich am eigenen Schöpfe aus dem Sumpf zieht. Das hat Bürger oft selbst vergeblich versucht.
So unschuldig im übrigen war das Lachen nicht, das dieses Buch hervorrief, wovon die Empörung des realen Herrn von Münchhausen zeugte. In der Komik des Dargestellten war genug auch von satirischer Schärfe, die einer Spezies galt, für die Gottfried August Bürger zeitlebens nur Verachtung und Feindschaft empfand. Als vielgeplagter Amtmann und Gerichtshalter in Diensten einer gräflichen Familie erfuhr er aus nächster Nähe die Brutalität und Arroganz der herrschenden Adelsschichten gegenüber den Bauern und prangerte sie in pamphletistischen Versen an. 1773 schrieb er das von wütendem Zorn erfüllte Gedicht »Der Bauer an seinen durchlauchtigten Tyrannen«. Darin wird der verbreitete Jagd-
LithographievonW Unger(1826)
frevel der Obrigkeiten angegriffen, stellt bäuerliches Selbstbewußtsein die vorgeblich gottgegebene Legitimität der adligen Grundherren in Frage. Hintergründig scheint diese Problematik immer wieder in Bürgers Versen auf. Zwei Jahrzehnte später schließlich entwirft er die Allegorie von den Magnatenburgen, die wie Magneten alles Wertvolle aus den ohnehin kärglichen Hütten herausziehen. »Da rüstete man, anstatt mit Silber und Gold, die Hütten mit Eisen und Stahl; und die neue Bauart bestand.« Die neue Bauart aber, das war die Revolution in Frankreich, die der Fürstenherrschaft dort ein Ende bereitet hatte und deren eifriger Anhänger Gottfried August Bürger war
Solch konsequente Radikalität ist ihm natürlich nicht gut bekommen. Aus einer ärmlichen Dorfpfarrei des Vorharzes stammend, als Student in Halle und auch später bis über beide Ohren verschuldet, im Berufsleben dann lange Jahre mit den Querelen seines Amtsbezirks beschäftigt und den Schikanen der Herrschaft ausgesetzt, konnte er nie ausreichend zu dem ihm Eigentlichen - seiner Schriftstellerei - kommen. Noch als Privatdozent für Philosophie und Ästhetik in Göttingen bewarb er sich vergeblich um eine ordentliche Professur, die ihm Luft verschaffen sollte. Zu Zugeständnissen aber war er stolz und eigensinnig - niemals bereit. Sein Ruf in der honorigen Gesellschaft konnte folglich nicht schlechter sein. Selbst ein Freigeist wie Lichtenberg getraute sich nicht, seinem Sarge zu folgen, als er im Juni 1794 im tiefsten Elend gestorben war - warf doch zu dieser Zeit die Herrschaft der französischen Jakobiner ihre Schatten und ließ die Ängstlichen zittern.
Auch war Bürgers Privatleben nicht dazu angetan, ihm das Dasein zu erleichtern. In leidenschaftlicher Liebe zu der jüngeren Schwester seiner Frau entbrannt (sie inspirierte ihn zu einigen seiner schönsten Gedichte), fluchte er der heuchlerischen Moral, die sich darüber entrüstete. In dritter Ehe geriet er an ein Flittchen, das ihn vor aller Welt blamierte. Kirchliche Frömmigkeit war dem bekennenden Freimaurer ein Greuel. Ja, Gottfried August Bürger war der knorrige, trotzige Mann, als den ihn Heinrich Heine später trefflich beschrieben hat, »der sein eigenes Wort wahr machte und sich lieber aus der Welt hungerte, als das er um Fürstenbrot lungerte«.
Diese Haltung hat auch seine Auffassung von Literatur und Poesie geprägt.
? Seine Dichtung sollte »volksmäßig« sein, und er hörte sich gern einen »Volksdichter« nennen. Mit seiner Ansicht über das Verhältnis von Kunst und Natur und der Hochschätzung des Volksliedes erweist er sich als der »Herderschen Sekte« zugehörig. Sein Ziel war es, »gleich verständlich, gleich unterhaltend für das Menschengeschlecht im ganzen zu dichten«. Wie das geschehen könne, darin zeigten sich im weiteren seine Meinungsverschiedenheiten mit Friedrich Schiller, dessen herabsetzende Kritik vom Standpunkte klassischer Ästhetik ihn schwer getroffen hat.
Sein lyrisches Werk fand Anerkennung und weite Verbreitung. Insbesondere als Balladendichter hat Gottfried August Bürger Furore gemacht. Seine »Leonore« von 1773 war die erste große Kunstballade in deutscher Sprache, ein meisterhaftes Stück, das die Zeitgenossen begeisterte. Dazu trug vieles bei: sowohl die dramatische Geschlossenheit des Vorgangs - die Soldatenbraut folgt ihrem gefallenen Geliebten auf das Hochzeitslager in kühler Erde -, die poetische Wortmusik des »hurte hurte hop hop hop« und der bewegt-phantastische Todesritt, als auch das Ernstnehmen der Leiden und Freuden des einfachen Volkes, die entschiedene Weigerung der Heldin, sich dem »Was Gott tut, das ist wohlgetan« zu unterwerfen, und nicht zuletzt die Aktualität des Sujets. Lagen doch der Siebenjährige Krieg, auf den sich der Dichter bezieht, die Schlacht bei Prag noch keine zwei Jahrzehnte zurück, war der Tod in den Kriegszügen der Despoten gefürchtetes Schicksal der Bevölkerung.
1793 kommt Bürger darauf wieder zurück, als die deutschen Fürsten gemeinsam gegen die französischen Revolutionsheere zu Felde ziehen: »Für wen, du gutes deutsches Volk/ Behängt man dich mit Waffen?/ Für wen läßt du von Weib und Kind/ Und Herd hinweg dich raffen?/ Für Fürsten- und für Adelsbrut,/ Und fürs Geschmeiß der Pfaffen.« Das war zuviel des Scharfsichtig-Anklägerischen; der Text blieb deshalb auch unvollständig. »Die Schrift-Zensur ist heut zu Tage scharf« hatte er an anderer Stelle zuvor geschrieben. Ein begabter Schriftsteller, ein tapferer Mann, würdig seiner zu gedenken.
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