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  • Politik
  • Fetisch Holocaust - Eine notwendige Provokation

Alibi-Juden?

  • Ulrich Schneider
  • Lesedauer: 2 Min.

Das wichtigste mancher Bücher sind nicht ihre Antworten, sondern die darin aufgeworfenen Fragen. Ein solches Buch hat der Journalist Richard Chaim Schneider vorgelegt. Hatte er schon in'seinem Buch »Zwischenwelten« die Schwierigkeiten jüdischer Identität in Deutschland für Angehörige der jüngeren Generationen beschrieben, widmet er sich diesmal dem Umgang mit der NS-Judenvernichtung in Deutschland. Er registriert ein Konglomerat scheinbar widersprüchlicher Ebenen der Verdrängung und Vermarktung und zitiert eine Redewendung israelischer und amerikanischer Juden: »There's no business like Shoah-Business.«

Den Anstoß für seinen Essay-Band lieferte die Goldhagen-Debatte. Im Zentrum seines Bandes stehen indes nicht die Streitpunkte um wissenschaftliche Defizite oder Fragen zum Inhalt von Goldhagens Buch, sondern die Inszenierung und mediale Aufbereitung der Debatte. Schneider belegt, wie Vermarktungsinteressen und Verdrängung der Geschichte hier eine unheilige Allianz eingegangen sind. Der Auftritt Goldhagens in Deutschland war generalstabsmäßig vorbereitet worden, wobei der immer wieder inszenierte Verriß des Buches zu einer »Werbung« besonderer Art wurde. Selbst vor

subtilen Formen des Antisemitismus schreckten die Kritiken nicht zurück, indem auf biographische Details in der Vita des Autors verwiesen wurde, um seine »Einseitigkeit« aufzuzeigen.

Auch die Debatte um das geplante Holocaust-Denkmal in Berlin offenbart für ihn diese Ambivalenz. Nicht allein Gegner des Monuments, auch dessen Protagonistin, Lea Rosh, wird von Schneider kritisiert. Denn auch diese Initiative hängt für ihn eng mit der Vermarktung des Holocaust zusammen und dem »Phänomen des deutschen >Gutmenschen<, der... festgestellt hat, daß man mittels des Holocaust viel für das eigene Image tun kann«.

Selbstkritisch reflektiert Schneider auch, mit seinen Veröffentlichungen selbst an der Vermarktung des Holocaust zu partizipieren und fragt, inwieweit er auch mit seiner Kritik instrumentalisierbar wird. »Kann ich es als Jude in Deutschland überhaupt verhindern, für irgend jemanden ein Alibi-Jude zu sein, wenn ich mich öffentlich äußere?«

Dennoch fühlt sich Schneider berechtigt, ja verpflichtet, Position zu beziehen. Es wäre wünschenswert, wenn seine Einwürfe in Deutschland Beachtung fänden und gar zu Nachdenklichkeit führten.

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