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Im Geheimprozeß abgeurteilt

  • Lesedauer: 2 Min.

Georg Dertinger wurde am 8. Juni 1954 vom 1. Strafsenat des Obersten Gerichts zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt - in einem Geheimprozeß, obgleich »spontan« empörte Arbeiter des Eisenhüttenkombinats Ost in Fürstenberg im Januar 1953 im »Neuen Tag« einen öffentlichen Prozeß gegen den »Spion im Gewand des Außenministers« gefordert hatten. Plewe wurde zu 13 Jahren, Helmut Brandt zu zehn Jahren, die Angestellte beim VdgB-Zentralvorstand, Ilse Ruth-Bubner, zu elf, der Hauptabteilungsleiter in der CDU-Hauptgeschäftsstelle, Franz Jentzsch, zu sieben und die Hauptreferentin im MfAA, Käthe Zinsser, zu drei Jahren Haft verurteilt. Rudolf Dertinger meint, im Rückblick wären die 15 Jahre für seinen Vater faktisch als Freispruch zu werten, wenn man die Schwere der Anklage bedenkt. Und Maria Dertinger, erzählt, sie habe später erfahren, daß als Urteil für ihren Mann zunächst 25 Jahre und sogar die Todesstrafe im Gespräch waren.

Georg Dertinger bemühte sich bereits 1956 um ein Wiederaufnahmeverfahren - vergeblich, obwohl er beteuerte, seine »Geständnisse« seien erzwungen worden. Auf einen vorzeitigen Gnadenerlaß mußte er bis 1964 warten. Am 26. Mai 1964 meldete »Neues Deutschland«, daß der Staatsrat Dertinger die Reststrafe erlassen habe. Schwer erkrankt, war dieser bereits einen Monat zuvor aus Bautzen in ein Krankenhaus nach Stollberg verlegt worden. Eine Übersiedlung in die Bundesrepublik, so sie überhaupt gestattet worden wäre, kam für den nun 62jährigen Dertinger nicht in Frage. Die letzten Jahre arbeitete er als Lektor im katholischen St. Benno-Verlag und als Rechtsberater für die Caritas. Bitteres Ende der Geschichte: Als Georg Dertinger sich um seine Rente bemühte und das Außenministerium um den Nachweis für seine fast vier Jahre währende Tätigkeit als Au-ßenminister bat, teilte man ihm mit, sein Name wäre nicht in den Akten zu finden.

Georg Dertinger verstarb vor 30 Jahren, am 21. Januar 1968. Das Oberste Gericht der DDR leitete im Frühjahr 1990 die Aufhebung des Urteils von 1954 ein; es wurde am 23. Oktober 1991 vom Berliner Landgericht kassiert.

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