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Wie man ein Haus entmietet

Gleimstraße 44: Milieuschutz ausgehebelt? Von Bernd Kammer

  • Lesedauer: 3 Min.

Noch vor drei Jahren war das Haus Gleimstraße 44 in Prenzlauer Berg voll vermietet. Derzeit sind von einst 33 Mietparteien noch acht übriggeblieben. Und ob die es noch länger aushalten, ist zweifelhaft. Das Wohnhaus kann als Beispiel dafür gelten, wie in Altbauquartieren die Verdrängung der Mieter funktioniert.

Bereits mehrfach hat das Haus nach 1990 den Eigentümer gewechselt. Jeder von ihnen äußerte Modernisierungsabsichten und unterließ dafür die notwendigsten Instandhaltungsmaßnahmen. Auf einem Bauschild, das mittlerweile vor dem Wohnhaus aufgestellt wurde, gibt sich die Hagele Immobilien GmbH aus Baden-Württemberg als Bauherr aus. Den Eigentümer-Nachweis gegenüber den Mietern blieb man dafür allerdings bislang ebenso schuldig wie die Magdeburger Firma Estreel, die ebenfalls schon einmal im Besitz des Hauses war und jetzt als Verwalterin fungiert.

Die Bewohner machte vor allem stutzig, daß auf dem Bauschild offensichtlich

für den Kauf ihrer Wohnungen durch Kapitalanleger geworben wird - mit dem Hinweis auf Steuerabschreibung und Mietgarantie. Als sich einige Mieter selbst als Kaufinteressenten ausgaben, flatterte ihnen der Hochglanzprospekt einer Südcapital GmbH, die offenbar die Vermarktung übernommen hat, ins Haus mit der Bestätigung: »Gleimstraße 44 - Eigentumswohnungen im repräsentativen Stuck-Altbau«. Als besonderer Anreiz wird den Anlegern 100 Prozent Leerstand versprochen. Ohne lästige Bewohner läßt sich's halt teurer modernisieren und anschließend mehr Miete rausschlagen.

In welche Regionen die klettern soll, wird ebenfalls im Papier angekündigt: Dem Anleger werden im Schnitt 13 Mark pro Quadratmeter garantiert. Das Pikante daran: Das Haus liegt im Milieuschutzgebiet um den Falkplatz, in dem Mietobergrenzen zwischen 6,36 und 8,54 Mark pro Quadratmeter gelten, um gerade der Verdrängung der Mieter durch Modernisierung vorzubeugen. Was auch Bauherr Hagele, übrigens stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung christlicher Geschäftsleute, weiß. Im Bauan-

trag, der am Mittwoch beim Bezirksamt eingereicht wurde, werden diese Obergrenzen nicht überschritten. Andernfalls wäre er auch nicht genehmigungsfähig, bestätigt eine Mitarbeiterin der Sanierungsstelle.

Womit sich die Frage ergibt, wer hier alles hinters Licht geführt werden soll. Sanierungsstelle, Mieter und auch die Kapitalanleger haben allen Grund, mißtrauisch zu sein. Laut Frank Barteczko von der Verwaltungsfirma Estreel sind bereits alle Wohnungen verkauft, und zwar zu den Konditionen der Mietgarantie. Zum 1. April wolle man mit der Modernisierung beginnen. Das erklärt die Eile, mit der das Haus leergezogen werden soll, obwohl noch keine Baugenehmigung vorliegt. Wo es im Guten, sprich einer verlockenden »Umzugsbeihilfe«, nicht klappt, wird schon mal versucht, mit einer fristlosen Kündigung nachzuhelfen. Doch ein harter Kern von Mietern will offenbar ausharren. »In meine Wohnung kommt kein Handwerker, wir haben ja noch nicht einmal eine Modernisierungsankündigung erhalten«, sagt ein Bewohner.

Michail Nelken von der Betroffenenvertretung Falkplatz befürchtet, daß durch solche Praktiken Mietobergrenzen zur Farce werden. »Wenn nach der Modernisierung das Bezirksamt nicht die Mietverträge kontrolliert, wird der Milieuschutz ad absurdum geführt, der Mietenauftrieb wäre programmiert.« Für Barteczko dagegen ist klar: »Milieuschutz bedeutet praktisch Enteignung, zu diesen Bedingungen kann man nicht sanieren.«

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