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  • Politik
  • Tet-Offensive und die Proteste gegen den Vietnamkrieg

»Ho - Ho - Ho - Chi Minh« und der Sturm auf das Pentagon

  • Günter Wernicke
  • Lesedauer: 4 Min.

Südvietnamesische Befreiungskämpfer in der Offensive, Februar 1968

Foto: ND-Archiv

Vor 30 Jahren, am 29. Januar 1968, begann die Tet-Offensive der Befreiungsfront in Südvietnam. Vor 25 Jahren, am 27. Januar 1973, unterzeichneten in Paris die USA und die Regierung in Südvietnam sowie die DRV und die Provisorische Revolutionäre Regierung Südvietnams das Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam.

Über 70 000 Befreiungskämpfer waren an der Tet-Offensive zu Jahresanfang 1968 beteiligt. Zeitgleich wurden 36 der 44 Provinzhauptstädte Südvietnams sowie fünf der sechs Großstädte des Landes gestürmt. Die wochenlange Belagerung des US-Stützpunktes Khe Sanh, die Einnahme der alten Kaiserstadt Hue und die erbitterten Straßenkämpfe in Saigon, wo es Spezialgruppen gelang, sich sechs Stunden lang auf dem hermetisch gesicherten Gelände der US-Botschaft zu behaupten, markierten die Wende im Vietnam-Krieg. Zwar gelang den USA und ihren Verbündeten noch einmal ein Gegenschlag, doch bewies eine erneute Offensive der Befreiungskräfte im Mai/Juni 1968, daß den Aggressoren die strategische Initiative endgültig verloren gegangen war. Der als Verteidigungsminister scheidende Robert McNamara sprach sich am 27 Februar 1968 gegen die Forderung General Westmorelands nach Entsendung weiterer 200 000 US-Soldaten aus. Zum Zeitpunkt der Tet-Offensive standen bereits 485 600 GIs in Südvietnam, 15 979 Mann

fielen. Ende 1968 kämpften 543 400 GIs in Vietnam, die Todeszahl erhöhte sich bis 31. Dezember 1969 auf 30 568, zum Zeitpunkt der Signierung des Pariser Abkommens im Januar 1973 war die Zahl der US-Toten auf 58 191 angestiegen.

Auch politisch hatte die Tet-Offensive eine Wende bewirkt. Schon der Oktober 1967 hatte Massenproteste an der amerikanischen Ost- und Westküste gesehen. An einer Aktionswoche in Washington, D.C., veranstaltet von dem über 150 Organisationen vereinenden Nationalen

Mobilisierungskomitee zur Beendigung des Krieges in Vietnam, beteiligten sich über 100 000 US-Bürger In der Nacht vom 21. zum 22. Oktober versuchten Antikriegsaktivisten, symbolisch das Pentagon zu besetzen. Auf McNamara, der von seinem Dienstzimmer aus das Geschehen beobachtet hatte, hinterließ die Attacke mutiger junger Leute auf das Herz des US-Militärs einen tiefen Eindruck. Vor den »Falken« im Streitkräfteausschuß des Senats nannte er deren Glauben, den Krieg in Vietnam doch noch gewinnen

zu können, illusorisch. Ob auf dem Campus der Universitäten, in Colleges, Kirchen oder auf den Straßen - überall wurde heftig über die Frage diskutiert, inwieweit nationale Interessen der USA in Indochina verteidigt werden müßten, wie in der Presse und in Regierungsstatements gebetsmühlenartig gepredigt wurde. Folgerichtig wurde der Kampf gegen die Antikriegsbewegung intensiviert, die angeblich der »kommunistischen Unterwanderung« der Vereinigten Staaten diene. Die CIA bespitzelte unter dem bezeichnenden Code »Operation Chaos« ca. 200 000 Antikriegsgegner und versuchte ihre Agenten in über 1 000 Organisationen der Friedensbewegung einzuschleusen - es war der bislang größte geheimdienstliche Krieg nach Innen.

Dessen ungeachtet weitete sich der Protest aus und erreichte schließlich gar den Kongreß. Ende Februar 1968 sprachen sich 25 Senatoren gegen die Fortführung des Krieges aus. Am 18. März

1968 plädierten im US-Repräsentantenhaus 97 republikanische und 40 demokratische Abgeordnete für eine Revision der Vietnampolitik. Mitte März 1968 signalisierte US-Präsident Lyndon B. Johnson Gesprächsbereitschaft mit der DRV.

Auch international gerieten die USA immer stärker unter Druck. Mit der Stockholmer Vietnam-Konferenz auf Initiative des schwedischen Friedens- und Schiedsgerichtsvereins hatte sich bereits ab Sommer 1966 ein breites internationales Bündnis verschiedener Friedensund Antikriegsorganisationen zu bilden begonnen. Der Weltfriedensrat bemühte sich um erste Schritte zur Überwindung der Blockmentalität. Auch das nicht unumstrittene, aber einmütige Bekenntnis internationaler pazifistischer Netzwerke wie der WRI (Internationale der Kriegsdienstgegner) und ICDP (Internationale Konföderation für Abrüstung und Frieden) für eine Fortsetzung der Stockholmer Vietnam-Konferenz trug nicht unwesentlich zur Ächtung des US-Krieges im öffentlichen Bewußtsein weltweit bei. Für das gemeinsame Ziel engagierten sich desweiteren der Internationale Versöhnungsbund (IFOR), das Internationale Friedensbüro (IPB), die Christliche Friedenskonferenz (CFK), die Quäker, die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (WILPF) sowie Amnesty International.

Große Namen unterstützten den internationalen Aufschrei gegen den US-amerikanischen Aggressionskrieg. Der britische Philosoph, und Pazifist Lord Bertrand Russell verfaßte einen flammenden Appell, das »experimentelle Dahinschlachten von Menschen« endlich zu stoppen. Russell wurde auch zur Repräsentationsfigur des Internationalen Kriegsverbrechenstribunals gegen das US-Morden in Vietnam, in dessen Arbeit sich übrigens auch DDR-Wissenschaftler einbrachten. Und mit den Sprechchören »Ho Ho Ho Chi Minh ...«begann sich in allen Metropolen eine zunehmend radikalisierende Studenten- und Jugendbewegung zu entfalten, die in immerhin 48 Ländern an den Festen des kapitalistischen Systems zu rütteln begann.

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