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  • Politik
  • Tabori, Voss, Kirchner am Wiener Akademietheater: »Becketts Endspiel - Fin de Partie«

Wer das Leben haßt, hängt an ihm

  • Lesedauer: 4 Min.

Der Hamm des Gert Voss (im Hintergrund Ignaz Kirchner): Nur wenn wir den anderen verletzen, spüren wir ihn.

Foto: Oliver Herrmann

Von Hans-Dieter Schutt

Samuel Beckett. Erster Gedanke: Warten auf Godot. Gert Voss auf der Bühne. Erster Gedanke: Warten auf Kirchner. Der Schauspieler, nervös werdend, harrt seines arg unpünktlichen Kollegen. Probenbeginn! Ignaz Kirchner kommt endlich, Voss' Verstimmtheit freilich wird er nicht wieder ausbügeln können. Es beginnt das Stück - vorm Stück. Zwei Schauspieler spielen nämlich nicht, sie probieren Becketts »Endspiel«. Jene Geschichte, in der einer lahm und blind, der andere von anderen Schmerzen geplagt ist. Herr Hamm und sein Knecht Clov. Voss wird Hamm sein, Kirchner wird sich fügen. Voss gefällt's so. Natur, Meer, Menschen sind Vergangenheit. Nur Hamms Eltern leben noch, in zwei Mülltonnen nebenan.

George Tabori hat mit zwei der gefeiertsten deutschen Schauspieler diesen Beckett inszeniert - und mehr- Er hat ein von Philosophen des Theaters arg gequältes Stück befreit. Wie haben die's jahrzehntelang in die düstere Bedeutung gepreßt. Wie haben sich die einen seiner Wahrhaftigkeit verweigert, wie sich die anderen darin gesielt, so, als sei Wahrhaftigkeit identisch mit Wahrheit.

Tabori hat das schwer atmende Spiel unter Mülltonnen, Särgen, gestorbenen Bäumchen und all den anderen Apokalypse illustrierenden Kulissenhalden hervorgeholt. Nun atmet die Bühne wieder ihre graue Tiefe. So fing alles an, auf dem Theater und der Welt; vielleicht endet so auch alles - aber wer war bei dem einen oder anderen schon dabei. Höchstens einer- Tabori. Ihm kann man glauben. Und

so darf das Nichts endlich wieder Nichts sein, und die Welt hat ihre Ordnung und ihren Zauber, wenn sie von nichts weiter als zwei begnadeten Schauspielern betreten wird.

Voss und Kirchner auf der Probe. Als sei Publikum noch ferne Zukunft. Die einzige. Nach Regieanweisungen Becketts zeichnen sie mit Kreide Raum, Drehtür, Fenster, Mülltonnen auf den Boden, dazu zwei Stühle, ein Eimer Fertig die Welt, man glaubt gar nicht, was man alles nicht braucht, um sie zu sehen. Was fehlt, ist

ein Plüschhund, den gibt Kirchner später selber. Und Nagg und Neil, die Eltern, spielen beide natürlich auch.

Was sich in der Kostümierung und Reqisitensuche zunächst vollzieht - bei Sticheleien, gegenseitigem Bemalen mit Kreide und Hosenzerschneiden -, ist eine zwerchfellerschütternde Clownerie mit scheinbar improvisierten Texten, bei klar gesetzter Hierarchie. Voss: der Regisseur seines Partners, gereizt besserwisserisch, quällustig, befehlsarrogant. Er nimmt den Habitus des Hamm vorweg; und auch

später, wenn beide in ihre Rollen hinübergleiten (das eigentliche Kunststück, das nur Große vermögen), wird Voss den Ignaz Kirchner belehren, wie man kurz lacht, in eine Mülltonne schaut, Überraschung spielt. Kirchner: nervgepeinigt, geduckt geduldig, mit introvertiertem Zorn; in ein großes Herz passen viele Beleidigungen. In ihm vereinen sich unwirksame Güte und unbefriedigte Bosheit.

Hamm und Clov, das aneinanderklebende Paar- Das lausige, lustige Los, die

Letzten zu sein. Der Lahme und Blinde demütigt den, von dem er abhängt; der Gedemütigte droht ständig mit Flucht, aber sein Widerstand versandet nach kurzen, heftigen Aufwallungen in trotzigen Gesten, die der Blinde nicht sieht. Voss und Kirchner nehmen das Ende von Anfang an nicht ernst, aber jenes Spiel nehmen sie todernst, das lediglich einer einzigen Regel folgt: Wir spüren den anderen nur wirklich, wenn wir ihn verletzen. Ob die Welt nun voll oder leer ist. Wer das Leben so leidenschaftlich haßt wie diese beiden einander hassen, wie muß der am Leben hängen. Es ist die größte Torheit, sich mit Menschen zu verbinden, und eine noch größere, zu glauben, man könne sich von ihnen lösen.

Nicht der Blitz beherrscht das Universum, erzählen zwei Schauspieler, sondern die bittere Ironie, und nichts, sagt Beckett, ist komischer als das Unglück. In diesem Sinne sind diese beiden wahre Possenreißer, denn wer seine Probleme überlebt, ist ein Narr.

Wenn Clov beim bösen, traurigen Schlußmonolog des Hamm mit Mantel und Rucksack bewegungslos im Hintergrund steht, sich im entschlossenen Weggang (wohin?) unterbrechend, ahnt er Wahrscheinlich, was ihn aufhalten könnte: Nur zwischen Geistern, die bestrebt sind, ihre Ratlosigkeit zu festigen, bleibt ein Gespräch möglich. Hier wird also kein definitives Endspiel gegeben, sondern das Ende einer Partie. Denn Morgen ist wieder Erwachen, und Erwachen ist eine Erbsünde wie das Geborenwerden. Ein neues Spiel, das alte Unglück.

Ein erschreckend heiterer Abend. Theater, das ganz zwei Schauspielern und ihren unruhigen Träumen gehört. Und einem wunderbar leisen Regisseur, der es vollbringt, daß wir die Wahrnehmung des Nichts als Triumph über die Leere empfinden. Auch wenn weh tut, was auf uns zukommt. Einmal sagte Tabori, das Schönste am Tod seien die Überraschungen, die weit davor lägen. Außer einer vielleicht: daß Ignaz Kirchner plötzlich pünktlich zur Probe käme.

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