- Politik
- Vor 55 Jahren: Goebbels-Rede im Berliner Sportpalast
»Wollt ihr den totalen Krieg?«
Goebbels marschiert, begleitet von Albert Speer (I.) und Robert Ley(r.), in den Berliner Sportpalast ein, um seine berühmt-berüchtigte Rede »Wollt ihr den totalen Krieg?« zu halten
Foto aus: Zentner, »Der Zweite Weltkrieg«
Einen imaginären Volkswillen zu beschwören und anschließend als Aufputschmittel für ihre dubiosen und kriminellen Machenschaften zu nutzen, stand bei den deutschen Naziführern seit jeher hoch im Kurs. Um so mehr, als sich Anfang 1943 immer deutlicher abzeichnete, daß die Alliierten fest entschlossen waren, dem »Dritten Reich« militärisch den Garaus zu machen. Ende Januar 1943 hatten der britische Premier Churchill und US-Präsident Roosevelt in Casablanca eine verstärkte alliierte Luftoffensive auf Deutschland beschlossen und dem Nazistaat den Kampf bis zur bedingungslosen Kapitulation angesagt. Wenige Tage später folgte das Desaster bei Stalingrad; Hitler selbst gestand ein, Fehler gemacht zu haben. Aber allein schon die Art, wie er dieses Geständnis ablegte, verriet kaum mehr Realitätssinn, geschweige denn irgendeinen Gesinnungswandel. Vielmehr ging das Regime dazu über, noch stärker Fanatismus und blinde Gefolgschaft vom deutschen Volk zu fordern und den Krieg zum »totalen Krieg« zu machen, wie ihn schon General Erich Ludendorff in seiner 1935 erschienenen Abhandlung mit gleichnamigen Titel ausführlich beschrieben und gepriesen hatte. Den propagandistischen Auftakt dazu lieferte kein Geringerer als Reichspropagandaminister Joseph Goebbels mit seiner berühmt-berüchtigten Rede am 18. Februar 1943.
Vor einigen tausend Menschen, die im Berliner Sportpalast versammelt waren
und als Repräsentanten der Nation galten, vollführte er ein demagogisches, mit Behauptungen und Unterstellungen gespicktes Frage- und Antwortspiel. Seine zehn sogenannten grundsätzlichen Fragen zur Kriegführung begannen mit der Anspielung, das deutsche Volk habe den Glauben an den Sieg verloren, sei des Kampfes müde und verspüre kaum noch Lust, sich der Kriegsarbeit zu unterziehen. Schließlich hielt er dem deutschen Volk vor, nicht den totalen Krieg, sondern die Kapitulation zu wollen, worauf gleich der bekannte Nachsatz folgte: »Ich frage euch: Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?« Er erntete ein fre-
netisches »Ja« aus vieltausend Kehlen. Doch damit gab sich Goebbels längst nicht zufrieden. Es folgten Durchhalteparolen und unverhohlene Drohungen. Allein die nachgeschobene Frage: »Seid ihr damit einverstanden, daß, wer sich am Krieg vergeht, den Kopf verliert?«, ließ erahnen, wie man den »totalen 'Krieg« an der sogenannten Heimatfront zu führen gedachte.
Nicht nur um die Entfachung einer Massenpsychose ging es, es waren nicht nur die Massen bei der Stange zu halten mit der trügerischen Vision von einem »Endsieg« - selbst die NS-Führung gierte nach solchen Inszenierungen wie nach einer Droge, um weiter eine Sache zu vertreten, die auch in ihren Kreisen nicht
wenige bereits als gescheitert ansahen. Schon am 29 November 1941, als die faschistische Wehrmacht auf Moskau marschierte, hatte Fritz Todt, seines Zeichens Reichsminister für Rüstung und Munitionsbeschaffung, Hitler eröffnet, daß der bis dahin mit viel Improvisation geführte Krieg in wirtschaftlicher wie militärischer Hinsicht verloren sei. Monate später, im Juni 1942, schienen auch Hitler Zweifel gekommen zu sein. Während einer Beratung im Stab der Heeresgruppe Süd in Poltawa ließ er vor den versammelten Offizieren durchblicken, daß, wenn Deutschland nicht in Bälde in den Besitz des Erdöls von Maikop und Grosny käme, er den Krieg beenden müßte. Deutschen Truppen gelang es zwar Anfang August 1942, Maikop einzunehmen, aber schon Ende Januar 1943 mußten sie es wieder räumen.
Nach Goebbels' Rede im Berliner Sportpalast wurden bereits vorher angedachte Maßnahmen zur Verwirklichung des »totalen Krieges« in die Tat umgesetzt - angefangen mit der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht über die forcierte Rekrutierung von Zwangsarbeitern, Verlängerung der Arbeitszeiten, drastische Einschränkungen des kulturellen Lebens und den Einsatz von »Wunderwaffen« bis hin zur Verschärfung des Kriegssonderstrafrechts und zur Aufstellung des Volkssturms am 25. September 1944. Alles Maßnahmen, die Ausdruck wachsender Verzweiflung und Ohnmacht der Nazi-Führung waren, die dem verbrecherischen Vorsatz frönte, nicht abtreten zu wollen, ohne das eigene Volk mit in den Abgrund zu reißen. Was an Reserven noch erschlossen und mobilisiert werden konnte, reichte längst nicht mehr, um eine grundlegende Wende im Krieg oder gar den »Endsieg« erzwingen zu können. Das Nazi-Regime suchte Zeit hinauszuschinden - bis, wie es Hitler ausdrückte, »fünf Minuten nach Zwölf«.
17. Februar 1673: Moliere, eigentlich Jean Baptiste Poquelin, in Paris gestorben. Der größte französische Lustspieldichter durchstreifte zuerst als Direktor einer Schauspieltruppe zwölf Jahre lang Frankreich. Seine unglückliche Ehe inspirierte ihn zu dem Lustspiel »L'ecole de femmes«. 1666 brachte er den »Misanthrop« auf die Bühne, ein Jahr später folgte »Tartuffe«.
19. Februar 1473: Nikolaus Kopernikus in Thorn geboren. Er entwickelte das »kopernikanische Weltsystem«, veröffentlichte jedoch aus Furcht vor der Kurie seine Erkenntnisse erst kurz vor seinem Tod. Der berühmte Astronom starb 1543.
22. Februar 1558: Eröffnung der Universität Jena durch den Bruder Karls V., Ferdinand ; Die Universität hatte sich aus einem Gymnasium, das 1548 vom sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich zur Pflege des Lutherschen Glaubens gegründet worden war, entwickelt.
22. Februar 1788: Arthur Schopenhauer, deutscher Philosoph, in Danzig geboren. Mit seinem Hauptwerk »Die Welt als Wille und Vorstellung« trat er als Verkünder einer pessimistischen Weltanschauung auf, die für das Geistesleben des späteren 19 Jahrhunderts maßgebend wurde.
22. Februar 1943: Hans und Sophie Scholl hingerichtet. Die beiden jungen deutschen Widerstandskämpfer waren am 18. Februar 1943 nach dem Verteilen von Flugblättern gegen Hitlers Krieg an der Münchener Universität von der Gestapo verhaftet worden. Der Freislersche Volksgerichtshof verhängte über das Geschwisterpaar sofort das Todesurteil.
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