Lange ohne Arbeit -Risiko für neue Armut
Statistik blendet Langzeit-Erwerbslosigkeit aus Studie
Gelsenkirchen (ND). Die hohe Arbeitslosigkeit wird immer häufiger zum Risiko* faktor für »neue Armut«. Nur knapp 60 Prozent der westdeutschen Arbeitslosen konnten 1995 ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus Lohnersatzleistungen wie Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe bestreiten. Fast ein Viertel war auf den Unterhalt Angehöriger angewiesen. Arbeitslosigkeit ist inzwischen die Hauptursache für den Bezug von Sozialhilfe. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Studie, die das Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen, »Zur sozialen Lage Arbeitsloser und Langzeitarbeitsloser und ihrer Familien« in Nordrhein-Westfalen (NRW) erstellt hat.
Nur wer lange Jahre voll erwerbstätig war und gut verdient hat, ist gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit für eine bestimmte Zeit hinreichend finanziell abgesichert, stellen die IAT-Arbeitsmarktforscher, IAT-Vizepräsident Prof. Dr Gerd Bosch und Dr. Alexandra Wagner, fest. Rund ein Drittel aller registrierten Arbeitslosen in NRW erhält seit Jahren weder Arbeitslosengeld noch Arbeitslosenhilfe. Starke finanzielle Einbußen müssen vor allem Langzeitarbeitslose hinnehmen. Im September 1995 bezogen in NRW nur 21 Prozent der Langzeitarbeitslosen Arbeitslosengeld. Mehr als ein Drittel der Langzeitarbeitslosen erhielt keinerlei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, Frauen bezogen seltener und deutlich niedrigere Leistungen als Männer. Bezogen auf die Zahl der Haushaltsmitglieder verfügten die Arbeitslosenhaushalte in NRW im Jahr
1980 noch über 60 Prozent des Durchschnittseinkommens aller Haushalte,
1994 erreichten sie nur noch knapp 52 Prozent. Ein Grund dafür, vermuten die IAT-Forscher, könnte - wegen der niedrigeren Arbeitslosenhilfe und der folgenden Bedürftigkeitsprüfung - die zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit sein, ein weiterer könnten die abgesenkten Leistungen der Arbeitslosenversicherung sein. Die Langzeitarbeitslosigkeit wird zudem in der Statistik stark unterzeichnet, stellt die IAT-Studie fest. Wie eine Sonderauswertung des Mikrozensus
1995 ergab, stellen Personen, die bereits länger als 12 Monate arbeitslos waren, in NRW nicht 38 Prozent des Arbeitslosenbestandes - wie in der offiziellen Statistik für September 1995 ausgewiesen -, sondern 51 Prozent. Ursache dafür ist die Erfassungsmethode, nach der schon Arbeitslose, die nur wenige Tage einen Gelegenheitsjob haben oder krank sind, aus der Statistik herausfallen, damit nicht mehr als arbeitslos gelten.
Die Arbeitsmarktpolitik muß in dieser Situation dringend handeln. Vor allem Langzeitarbeitslosigkeit hat für die soziale Situation und die Chancen auf dem Arbeitsmarkt einschneidende Folgen. Die Reintegration Langzeitarbeitsloser wird erheblich schwieriger und - aufgrund notwendiger Requalifizierung und sozialpädagogischer Begleitung - auch teurer »Eine präventive Arbeitsmarktpolitik sollte deshalb möglichst frühzeitig ansetzen und eine dauerhafte Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt möglichst gar nicht erst zulassen«, fordern die IAT-Forscher
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