- Politik
- Zum Tode des Schriftstellers Wilhelm Thom
Leben - nichts als leben
Der Autor Wilhelm Thom ist, wie erst jetzt aus dem Familienkreis bekannt wurde, am Ostermontag im 66. Lebensjahr verstorben. Die autobiographischen Reports »Rückkehr ins Leben« (Verlag Neues Leben, Reihe BASAR 1979) und »Mitten im Leben« (Verlag Neues Leben, Reihe BASAR 1988) haben außerordentlich viele Menschen in der DDR stark bewegt. Rein rechnerisch belegen dies die vielen Auflagen in einem Land, das bekanntermaßen an permanenter Papierknappheit gelitten hat. Der ehemalige NVA-Sportoffizier Wilhelm Thom und seine Frau Elfriede beschrieben in den Büchern, wie man nach einem folgenschweren Unfall (hochgradige Querschnittslähmung) weiterleben kann. Viele Aktenordner sind gefüllt mit den unterschiedlichsten Zuschriften behinderter und nichtbehinderter Leser. Trotz der gesundheitlichen Beschwerden des Mannes ließen Wilhelm und Elfriede Thom es sich nicht nehmen, auf vielen Veranstaltungen zu lesen, Fragen zu beantworten bzw Ratsuchenden aus ihrem reichen Erfahrungsschatz weiterzuhelfen. Anfang der 90er Jahre sahen Millionen Zuschauer die Verfilmung des ersten Buches; Wilhelm Thom wurde gespielt von Jürgen Heinrich (»Wolffs Revier«).
Leider fand sich bislang für das dritte Buch »Verführt ins Leben« kein Verlag. Dabei ist dieses Buch über die Familie Thom (Stettin, Kindheit, Vertreibung und Nachkrieg) ein historisch wertvoller und
zugleich bewegender Text, alles gewürzt mit seinem trockenen Humor Als Manuskript werden wohl Wilhelm Thoms Erinnerungen an die Zeit nach 1949 in der Kasernierten Volkspolizei bzw NVA ohne Leser bleiben. Wenn man bedenkt, daß aufgrund seiner Querschnittslähmung jeder einzelne Buchstaben mit einem Mundstäbchen getippt worden ist, dann läßt sich die im wahrsten Sinne des Wortes schriftstellerische Leistung gar nicht hoch genug veranschlagen.
.. Bitter war für die Familie Tham,.daß anonym gebliebene Ex-DDR-Bürger mittels Telefonterror dem Oberstleutnant a.D. Rache für seine nie in Zweifel gezogene Loyalität zur Republik und deren Armee androhten. Diese Heimtücke konnte einen Mann, der es zeitlebens mit Hemingways Maxime »Man kann zerstört werden, aber man darf nicht aufgeben« hielt, kaum ängstigen. Weggesteckt werden mußten auch finanzielle Sorgen, ausgelöst durch Nicht-Anerkennung des Arbeitsunfalls, verbunden mit einer sogenannten Strafrente wegen Systemnähe (zur Erinnerung: seit dem Unfall 1977 war Wilhelm Thom durch seine Querschnittslähmung hilflos wie ein Kind).
»Ihr Buch ist fast schon ein Lehrbuch - ein Lehrbuch für Freude am Leben«, schrieb ein Leser Wahrhaftig eine Leistung, vor der jedermann den Hut zieht. Um so größer die Trauer, daß dieser wakkere Kollege nicht mehr in unserer Mitte weilt. Vielleicht würde Wilhelm Thom auf seine Art hintergründig lächelnd sagen, daß er doch nur unser aller Weg um einige Zeit eher gegangen sei
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