- Politik
- Ludwig Feuerbach und der versäumte ethische Ansatz des Kommunismus
Der Neuanfang heißt »Du«
Gegenwärtig, da »die Linke« das geistige Arsenal ihrer Ideengeber, einschließlich Marx und Engels, kritisch durchforstet, verdient auch Ludwig Feuerbach wieder größere Aufmerksamkeit. Er wird verkannt, wenn man in ihm lediglich einen »Vorläufer« des Marxismus sieht. Seriöse Historiker sprechen dem »Urgewaltigen«, wie ihn einmal einer seiner Gegner nannte, eine eigenständige Bedeutung zu.
Neben dem Verschweigen von Amts wegen und dem Beschränken auf bestimmte Aspekte seines Werkes gibt es Äußerungen in der unverkennbaren Absicht, Ecken und Kanten des Feuerbachschen Denkens abzuschleifen und diesen Philosophen als einen indifferenten Eigenbrötler hinzustellen. »Feuerbach, der sich selbst weder als Rationalist noch als Empirist, weder als Idealist noch als Materialist, weder als Bürger noch als Kommunist begreift...«, schreibt die Philosophie-Historikerin Ursula Reitemeyer Manche sähen ihn gern so: Als Skeptiker gegenüber allem paßt er gut in das Strickmuster postmoderner Beliebigkeit.
Wie stellte sich Feuerbach zu den kommunistischen Ideen, die in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts verstärkt aufkamen? Er hat sich unzweideutig erklärt. »Ich bekümmere mich überhaupt um gar nichts mehr ernstlich und herzlich als schaudern Sie! - um den Kommunismus. Nur diesem hoffe ich noch meine Feder zu widmen ...«, schreibt er 1845 an seinen Verleger Otto Wigand. Aber er fügt hinzu: »sowie ich mit meiner bisherigen Aufgabe fertig bin.«
Das ist bezeichnend für Feuerbach: Immer hat er noch etwas abzuschließen. In diesem Fall istes.»Das Wesen des Christentums«, das ihm auch in den folgenden Jahren neue Arbeiten! abverlangt. Er lotet jeden Winkel seines religionskritischen Gebäudes aus. »Mich wenigstens hat der Atheismus zum Kommunismus gebracht« - das schreibt der Freund und Journalist Hermann Kriege, bevor er in den USA als Redakteur des »Volks-Tribun« tätig wird, an Feuerbach. Es gilt auch für den Adressaten. Und es waren persönliche Bekanntschaften, die ihm die verfemte Weltanschauung sympathisch machten. »Ich war selig vor Freude über diese trefflichen Menschen, die wahre Kommunisten sind«, teilt er seinem Bruder Friedrich mit. Er war begeistert von Wilhelm Weitling, Georg Herwegh und wohl auch vom jungen Karl Marx.
Aus solchen Hinweisen läßt sich Feuerbachs allmähliche Zuneigung zu jenen radikalen Demokraten, die sich Kommunisten nannten, gut nachvollziehen - bis hin zu dem klaren Bekenntnis in einer Auseinandersetzung mit Max Stirner: »Also weder Materialist noch Idealist noch Identitätsphilosoph ist F. Nun was denn? Er ist... Mensch; oder vielmehr, da F. nur in die Gemeinschaft das Wesen des Menschen versetzt - Gemeinmensch, Kommunist«.
Wie aus der Schlußpassage des Pamphlets gegen Stirner zu ersehen, faßt Feuerbach den Kommunismus-Begriff sehr viel weiter, als er später gebraucht wird. Er bringt ihn in Verbindung mit dem »Wesen des Menschen«, und er stellt ihn dem schrankenlosen Individualismus gegenüber, wie ihn Stirner in seinem Buch »Der Einzige und sein Eigentum« zu begründen versuchte.
Die Gemeinschaft als »das Wesen des Menschen« kann jedoch unterschiedlich aufgefaßt und angestrebt werden. Es ist bezeichnend für Feuerbachs kritischen Sinn, daß er schon sehr früh differenziert. In einem Brief an Kriege schreibt er über Georg Herwegh: »In ihm fühle ich eine verwandte Seele; er ist grundfrei, ernst, tief, wahrhaft. Er ist Kommunist von Pro-
fession, kein orthodoxer, kein buchstäblicher, kein absolutistischer Kommunist - denn leider kommen auch hier schon die Unterschiede der menschlichen Natur auf eine ebenso erfreuliche wie daneben auch traurige Weise zum Vorschein!«
Feuerbach unterschied zwischen verschiedenen Kommunismus-Auffassungen. In einem Brief an Arnold Rüge (Bd.18, S.349) spricht er seinen Zwiespalt aus: »Die Köpfe sind konfus geworden, und die sozialistischen Parteien reden bis jetzt nicht klarer, als sie denken. Weder die komplizierten Vorschläge der Fourieristen noch die Eigentumsaufhebungen der Kommunisten sind klar zu formulieren. Beides läuft immer auf einen förmlichen Polizei- oder gar Sklavenstaat hinaus.« Man träume sich in ein Paradies und hoffe auf die nächste Revolution. »Aber die Kommunisten sind von der Humanität und vom wirklichen Kommunismus so weit entfernt, daß es weder intellektuellen noch geselligen Reiz hat, mit ihnen zu leben.«
In dieser Passage ist der Grundkonflikt, an dem die kommunistische Bewegung im 20. Jahrhundert scheiterte, vorweggenommen. Es bildete sich nach dem Ersten Weltkrieg ein Kommunismus-Verständnis heraus, das über dem Gemeinsinn das Individuum zwar nicht vergaß, aber der kollektiven »Sache« unterordnete. Das geschah anfangs in bewußter Abgrenzung von der egozentrischen Verselbständigung des »Ich« bei Max Stirner. Jedoch hat Marx nie die Freiheit des Individuums und die Persönlichkeitsrechte in Frage gestellt. Im Gegenteil, und darin war er sich mit Feuerbach einig: Die breite Emanzipation des Individuums ist eine Voraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt. Demnach ginge es Feuerbach »nur um das Wie der Ausführung,« schrieb Engels 1845 an Marx.
Kommunismus ist für Feuerbach menschlich oder gar nicht. Er kam wie andere Nach-Hegelianer auch zu einer Subjektivierung des Menschlichen, jedoch - und das ist der entscheidende Unterschied zu Stirner oder Kierkegaard unter Einbeziehung des »Du«, also eines gesellschaftlichen Verhältnisses.
In den Beziehungen von Ich und Du sieht Feuerbach die Grundlage allen ethischen Handelns. Er benutzt diese Sinneinheit in einem für unsere Betrachtung
interessanten Synonym, wenn er schreibt, daß jeder, der den »Gemeinmenschen« im Sinn hat, »an die Stelle der (Hegeischen) Identität von Denken und Sein ... die Identität von Ich und Du, den Kommunismus, setzt...«
Der Philosoph Martin Buber nannte jene »Du-Entdeckung« eine »kopernikanische Tat des modernen Denkens und ein elementares Ereignis .... das genauso folgenschwer istwie die 1 Ich-Entdeckung des Idealismus und zu einem zweiten Ne'üähfähg des 1 'äüröpälscheü' Denkens führen muß...«
Die marxistische Philosophie ist auf den Dualismus von »Ich und Du« nicht eingegangen. Engels hat bekanntlich Feuerbachs Ausführungen über Moral und Ethik als »schwülstige Liebesreligion« abgetan. Es wäre aber zu fragen, ob nicht auf der Wegstrecke Hegel - Feu-
Marxistische
Philosophie wäre zu befragen, ob nicht auf der Wegstrecke Hegel-Feuerbach-Marx und weiter in die Gegenwart das Anliegen verlorenging, daß der Mensch den Menschen neben sich aufrichtig zu achten hat.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.