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  • Kultur
  • »Der Gegen-Angriff« - die Geschichte einer Exilzeitung

Streitbar, schrill und couragiert

  • Lesedauer: 4 Min.

Instrumentalisierung von Geschichte hat es zu allen Zeiten gegeben und treibt noch heute, wie der Hauser-Fall zeigt, auch in der Bundesrepublik die kuriosesten Blüten, sie war keineswegs Monopol der SED-Führung. Daß diese zuweilen sogar »über ihren Schatten« sprang, bezeugt die 1982 erschienene Reprintausgabe der antifaschistischen Exil-Zeitung »Der Gegen-Angriff«, die noch in einigen Exemplaren über ND erhältlich ist. ND sprach mit der Literaturwissenschaftlenn Silvia Schlenstedt, die seinerzeit die Einleitung zu den drei Bänden verfaßte.

? Das Geleitwort zum Reprint schrieb Bruno Frei. »Wer auf die Idee kam, Goebbels' >Angriff< herauszufordern, weiß ich nicht. Es war Tollkühnheit in Fortsetzungen«, liest man hier. Wie ist das zu verstehen?

Kühn war die Gründung einer Zeitung im Prager Exil Frühjahr 1933 schon ohne Geld, ohne Verlag, ohne Vertriebsapparat, ohne sichere Leserschaft! Der entscheidende Impuls ist dem 1. Leitartikel abzulesen: »Genug des ohnmächtigen Zähneknirschens!« Es sei Zeit, die Stimme zu erheben gegen die Lügen des »Angriffs«, gegen den Terror der Nazis: »Es ist Zeit zum Gegenangriff!« Es gelte, die »antifaschistische Kampffront« zu

sammeln. Herausfordernd war auch der Stil des Gegen-Angriffs, nicht nur in Richtung der deutschen Faschisten, auch gegenüber Hitlergegnern, die anders über dachten als die Kommunisten, die das Blatt machten.

? Wer schrieb im »Gegen-Angriff«? Wer gehörte der Redaktion an? Welchen Verbreitungsgrad hatte die Zeitung? Und wessen Sprachrohr war sie?

Nicht alles ist genau zu ermitteln, da die Namen der Redakteure ungenannt blieben, auch viele Beiträge nicht oder nur mit Decknamen gezeichnet wurden - erklärbar aus Illegalität vieler politischer Funktionäre, Verbot politischer Betätigung. Bruno Frei, schon genannt, gründete und leitete vor allem die Zeitung, dabei war F C. Weiskopf in Prag eine wichtige Hilfe. Willi Münzenberg in Paris war finanziell und organisatorisch die entscheidende Stütze und prägend für den Arbeitsstil der Enthüllungen ganz wichtig: zum Reichstagsbrand -, der Kampagnen und Polemiken. Auch Alexander Abusch spielte in Paris eine Rolle. Die Auflage betrug zwischen 8000 bis 12 000. Man wollte Nachrichten über Hitlerdeutschland verbreiten, Zeugen Gehör verschaffen, Widerstand organisieren. Emigrierte Schriftsteller, die bereit waren, sich an den aktuellen Auseinandersetzungen zu beteiligen - Kisch, Weinert,

Brecht, Regler, Uhse u. v a. -, lieferten Beiträge: Reportagen, satirische Gedichte, Glossen. Sie schrieben nicht so sehr als Belletristen. Der »Gegen-Angriff« war ein politisches Blatt besonderer Art, streitbar, schrill aufrufend, Prognosen kommenden Wandels, eines befreiten Rätedeutschlands verbreitend. Er gehörte ganz der sektiererischen Kampfstrategie der KPD im Antifaschismus der frühen 30er an.

? Daran wollte die SED-Spitze selbst später allerdings nicht gern erinnert werden. Wie kam es 1982 zu diesem Reprint?

Es gab schon viel früher in der DDR Reprints von Periodika aus dem Exil, vor allem literarischer Zeitschriften. »Gegen-Angriff« kam relativ spät. Eine Voraussetzung war die Bereitschaft bei den leitenden Instanzen, auch Dinge zu lesen und zu lesen zu geben, die mit dem VII. Kominternkongreß 1935 kritisiert und revidiert worden waren, sich also der eigenen Vorgeschichte zu stellen, einschließlich den Borniertheiten.

? Mit diesem Reprint wurde nicht nur die »Unperson« Willi Münzenberg de facto rehabilitiert. Ein Durchbruch?

Bemühungen um Versachlichung im Blick auf Geschichte blieben nicht ohne Erfolg. Doch Durchbrüche gab es selten.

? Haben Sie damals bei der Abfassung Ihrer Einleitung Rücksicht auf Wünsche »von oben« nehmen müssen? Ist Ihr Text so erschienen, wie Sie ihn geschrieben haben? Keine Zensur?

Mein Text erwuchs aus der Arbeit an einem Forschungsprojekt, in dem neue geschichtliche Zugänge gesucht wurden. Als der Druck bevorstand, versuchte Abusch, sich im nachhinein zum Leiter umzustilisieren. Er intervenierte beim Verlag. Dies distanziert zu behandeln, gelang. Keine Zensur

? Wie ist es um die Exilforschung in der Bundesrepublik heute bestellt? Wird der deutschen Emigration nach Ihrer Meinung in angemessenem Maße gedacht? Und ist hier ähnlich wie auf anderen Gebieten der Geschichtsforschung ein Sortieren in »gute« und »böse« Hitlergegner zu beobachten?

Die Zeit einer breiteren Exilforschung lief schon in den 8üer Jahren aus, wenn auch weiterhin - meist vereinzelt - geforscht wird und neue Editionen herauskommen. Zu beobachten sind deutlich veränderte Interessen, auch Irritationen. Mit Sensationen erreicht man leichter die Öffentlichkeit als mit einem Aufgraben von Widerspruchsgeschichte. Manche zögern, von Antifaschismus zu sprechen, ohne antistalinistische Beteuerungen.

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