Unterbezahlung strafbar
zur Einhaltung der geltenden Verträge gezwungen werden, wobei die Gewerkschaft als vertragschließende Partei gefordert ist, die nötigen Schritte zu tun. Die von untertariflicher Bezahlung betroffenen Arbeitnehmer müssen nicht selbst gegen ihren Arbeitgeber vorgehen. Es genügt, daß die Gewerkschaft glaubhaft machen kann, daß im Betrieb X nicht tarifgerecht entlohnt wird. Dann mag doch der Arbeitgeber anhand der Lohn- und Gehaltslisten dem Arbeitsgericht das Gegenteil beweisen.
Es gibt auch einen anderen Weg, Arbeitgeber nicht nur zur vertragsgerechten Entgeltzahlung zu
zwingen, sondern sie au-ßerdem wegen Betrugs gerichtlich zu belangen. Über einen solchen Fall berichtete kürzlich die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen aus Baden-Württemberg.
Dort hatte das Ehepaar Schlecker, Inhaber der gleichnamigen Drogeriekette, den Beschäftigten über Jahre hinweg vorgetäuscht, sie würden tarifgerecht bezahlt. Tatsächlich aber handelte es sich um untertarifliche Entgelte. Die Gewerkschaft HBV brachte die Angelegenheit in einer öffentlichen Kampagne zur Sprache.
Das hatte zur Folge, daß die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen das Schlecker-Ehe-
paar einleitete. Denn nach dem in Deutschland geltenden Legalitätsprinzip haben die Strafverfolgungsbehörden die Verpflichtung, bei hinreichendem Tatverdacht von sich aus, also ohne Anzeige, tätig zu werden.
Die HBV-Mitgliederzeitschrift „Ausblick“ berichtete im Juni-Heft über den Ausgang des Verfahrens: Anton Schlecker und seine Frau, so der Bericht, wurden vom Amtsgericht Stuttgart wegen Betrugs in 610 Fällen zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. An gemeinnützige Einrichtungen haben sie eine Geldbuße von zwei Millionen Mark zu zahlen und - die Hauptsache - an die geschädigten
Beschäftigten eine Nachzahlung von mehreren tausend Mark, insgesamt einen weiteren Millionenbetrag, zu leisten.
Der Tatbestand des Betrugs war gleich mehrfach gegeben. Den Beschäftigten wurde vertragsgerechte Bezahlung vorgetäuscht, so daß ihnen Entgelt vorenthalten wurde, aber auch die Sozialversicherungen wurden auf diese Weise durch zu geringe Abführungen geschädigt.
Schlecker-Märkte gibt es in großer Zahl auch in den neuen Bundesländern; zudem ist die untertarifliche Bezahlung, nach HBV, besonders in der Lebensmittelbranche und in Baumärkten, vor allem bei den 620/520-Mark-Kräften, weit verbreitet. Für Betriebsräte, zuständige Gewerkschaft und Staatanwaltschaften ein Anlaß, die Sache einmal näher unter die Lupe zu nehmen.
GERD SIEBERT
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