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  • Politik
  • Thriller zum Fall Otto John von Wolfgang Brenner

Fakten und Fiktionen

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Klaus Haupt

Am Abend des 20. Juli 1954 geschah etwas Unglaubliches in der alten Bundesrepublik. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Otto John, ging in die DDR. John hatte in Westberlin an der Gedenkveranstaltung zum 10. Jahrestag des Attentats auf Hitler teilgenommen. Anschließend fuhr ihn sein Freund, der Modearzt Dr. Wolfgang Wohlgemuth, in seinem Pkw über die Grenze, die zu jener Zeit bekanntlich frei passierbar war Die Sensation war perfekt. Der spektakuläre Seitenwechsel machte in der Weltpresse Schlagzeilen. Ein Spionagechef kommt nicht alle Tage abhanden.

Die Wochen vor diesem Fall, die politischen Intentionen Otto Johns, der ein Mann des 20. Juli gewesen ist, seine inneren Nöte und Schwierigkeiten - das ist Gegenstand des Romans »Der Patriot«, den der Autor Wolfgang Brenner und der Politik-Präsenter Egon Bahr am vergangenen Wochenende im »Bistro Friedrich's« in der Berliner Mauerstraße unweit von einstigen Checkpoint Charly der interessierten Lesergemeinde vorstellten.

Dieses politisch-literarische Doppel ergänzte sich vorzüglich: Bahr ist ein Zeitgenosse Johns und Intimkenner all der dubiosen Vorgänge, die sich zu jener Zeit in Bonn abspielten; Brenner dagegen hat im Jahre 1954 gerade das Licht der Welt erblickt und nun bei »dieser Reise in meine eigene Vergangenheit« gründlich recherchiert, Fakten und Fiktionen zu einem Thriller erster Güte verarbeitet.

Der Titel, so bescheinigte Bahr dem Autor, sei treffend. John sei wirklich ein deutscher Patriot gewesen, »ein Antifaschist, der vielen in Bonn nicht paßte«. Er war ein überzeugter Mann, vielleicht ein schwacher, etwas naiver Mann, »aber ein Verräter war er nicht«. Brenner nannte als weidlich ausgeschlachtete Quellen für Details des Romans das Boulevardblatt »BZ« sowie den »Spiegel« und

konstatierte: »Mein John ist eine Kunstfigur Aber es ist eine Kunstfigur, die sehr viel zu tun hat mit der politischen Situation jener Zeit.« Sie war es, die John Sorge machte und letztendlich am 20. Juli 1954 in verzweifelter Verfassung dazu veranlaßte, Kontakt mit alten Gesinnungsfreunden aufzunehmen, die in der DDR lebten.

Da ging es um die Militarisierung der Bundesrepublik, ihre Aufnahme in das westliche Militärbündnis. Da besetzten schwerbelastete Stützen des Hitlerstaates einflußreiche Posten in der jungen Republik. Adenauers Kanzleramtschef Globke, der Hitlers Nürnberger Rassengesetze und somit den Holocaust juristisch begründet hatte, sowie der vom Kabinett bestätigte Spionagechef Gehlen, im Dienste Hitlers als Spionagechef »Fremde Heere Ost« bewährt - sie wollten den Patrioten John, der auch Adenauer suspekt war, kaltstellen. Und CIA-Boss Al-

lan Dulles stellte sich mit vielen Dollars hinter Gehlen, als es darum ging, ohne Skrupel schwerbelastete Nazis in der Bundesrepublik als »Einflußagenten im Umfeld wichtiger Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft« zu plazieren und den Antifaschisten Otto John, der vom britischen Geheimdienst MI 5 empfohlen worden war, auszuschalten.

Die Fluchtumstände, die Geheimdienst-Geheimnisse, einschließlich der mysteriösen Rolle, die KGB und Stasi dabei gespielt haben, sowie Johns Rück-Flucht nach Westberlin - diese Fragen dominierten in der Debatte zeitweise und Bahr fürchtete am Ende, daß sie zu einer Klippschule werde angesichts Unkenntnis und Ahnungslosigkeit über seinerzeitige Verhältnisse in Deutschland.

Auf meine Frage, worin der eingangs erwähnte Wert des Buches für die Gegenwartbestehe, antwortete Bahr- Es »zeichnet ein Bild von der Bundesrepublik Anfang der 50er Jahre«; und im Hinblick auf die Tätigkeit der Geheimdienste meinte er- »Ich bin ganz sicher, es ist alles heute noch genau so.«

Brenner ergänzte zum Schluß dieser Buchpräsentation, die vom Eichborn-Verlag und der Buchhandlung Kiepert veranstaltet wurde: Daß in einer Demokratie, die, wie die Bundesrepublik, von sich behauptet, ein halbes Jahrhundert zu bestehen, Geheimdienste noch dermaßen wichtig sind, »spricht nicht gerade für diese Demokratie«.

Mir fällt dazu noch dies ein: Eine der historisch verbürgten Figuren des Romans, der General Reinhard Gehlen den Bahr in Pullach als einen Mann kennengelernt hat, der als Getreuer Hitlers kein Verräter war - pflegte eine treue Männerfreundschaft zu einem Mann aus der Mitte dieser Gesellschaft, der in diesen Tagen seinen üblen Einfluß ausübt. Es ist Dr Gerhard Frey, Chef der DVU, der mit seinem geschätzten Vermögen von einer halben Milliarde Mark den Rechtsextremismus etablieren will. Nach Gehlens Tod veröffentlichte Frey in seiner »Deutschen Nationalzeitung« Briefe, die er von dem Verstorbenen erhalten hatte. In einem mokierte sich der BND-Chef Gehlen, es sei »verwunderlich, was für merkwürdige Leute in der Zeit nach dem Kriege zum Teil in leitenden Stellen bei deutschen Behörden es zu etwas gebracht hatten«. Gemeint war der Nazi-Gegner John, der im Gegensatz zum Hitler-Getreuen Gehlen in der Bundesrepublik im Gefängnis landete. Verurteilt im Dezember 1956 vom Dritten Strafsenat beim Bundesgerichtshof. In den fünf roten Roben steckten auch zwei ehemalige NS-Richter

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