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  • Politik
  • Wismar fördert eine Stiftung für den bundesdeutschen Erfolgskünstler Uecker

Nägel mit Köpfen?

  • Hermann Raum
  • Lesedauer: 7 Min.

Ein »Wiedereinrichter« vom Feinsten. Der Mann hat das Land Mecklenburg-Vorpommern mit 21 Jahren verlassen, dann noch eine Weile in Ostberlin studiert, und über Westberlin und Düsseldorf seine große Karriere angetreten. Auf deren jüngster Etappe wird der Professor der dortigen Kunstakademie das Allerheiligste des Bundestages ausgestalten: die Kapelle im Reichstagsgebäude. Möge er die Banalität vermeiden, im Bannkreis des Gekreuzigten jene Erfindung einzusetzen, mit der er seine unbestreitbare Weltgeltung erlangte und im Konkurrenzkampf der Originalitäten unverwechselbar wurde: Nägel einschlagen.

Professor Uecker also kehrt in die Landschaften der Kindheit (Halbinsel Wustrow) und Jugend zurück und läßt sich in Wismar, wo er seine Dekorationsmalerlehre und die Fachschule absolviert 'hatte, sein Lebensdenkmal errichten: Erwerb des Hanse-Saaten-Speichers über eine Stiftung und dortselbst Einrichtung von Atelier und Dauerausstellung - ein Uecker-Museum nach dem Vorbild der Güstrower Barlach-Gedenkstätte. Die Stadt bzw. ihre Volksvertreter, auch in dieser Sache engagiert geführt von Bürgermeisterin Dr Rosemarie Wilcken, wollen sich auf einen Zuwachs kultur-touristischer Attraktivität freuen und dafür ein angrenzendes städtisches Grundstück in die Stiftung ein- und jährlich 100 000 Mark für den Betrieb der Uecker-Gedenkstätte aufbringen. Die Stadt, so die Bürgermeisterin in ihrer Vorlage, wolle »sich ihrer regionalen Verantwortung für Günther Uecker bewußt« sein.

Eine für Ostdeutschland typische Überrumpelung, Land- und Vorteilsnahme unter Ausnützung der relativen bis absoluten Ahnungslosigkeit hiesiger Entscheidungsträger? Eine staatlich subventionierte »verlängerte Werkbank«? Es sieht danach aus, aber die Wahrheit ist.kom-i plizierter. Der kostspielige Einstieg der Stadt ist kaum zu vermeiden, ohne in den Geruch von hinterwäldlerischem Banausentum und konservativer Kleinkariertheit zu geraten. Hilft es aus diesem Dilemma heraus, sich den Rang Ueckers (natürlich nicht im Vergleich zu Barlach, den man lieber nicht hätte ziehen sollen) anhand seines bisherigen Werkes vor Augen zu halten, den Ereigniswert einer Uecker-Stadt und den erwarteten touristischen Effekt mit der für den Kulturetat beträchtlichen Dauerbelastung aufzurechnen?

»Der einzige Mensch, der überlebt, ist der leere Mensch. Diesem Menschen bin ich besonders oft in Amerika begegnet. Und als wir nach Amerika kamen ... war es für uns einfach das Zuhause.« In diesem Bekenntnis des noch jungen Uecker, der jetzt sein Zuhause in Wismar einrichtet, nach einem längeren USA-Aufenthalt stecken auch Weltsicht und künstlerische Position von ZERO. Diese von Düsseldorf aus wirkende Gruppe, in der Uecker seit 1962 maßgebend tätig war, trat, wie es in einem Buch über ihn hieß, für eine »Denk- und Lebensweise ein, die den Menschen nicht in Widerspruch zu

seiner Welt bringt, weil es Gegensätze für ihn nicht gibt«. Die damals religionsartig formulierte, auch am Zen-Buddhismus orientierte Lehre ZEROs sollte »dem westlichen Menschen der Gegenwart... eine Hilfe sein, sich in der >Großen Leere< zurechtzufinden«. Dazu Uecker: »Das Glück, in dieser Welt zu sein ... das Glück, wenn man Ja sagt: ZERO« und »Wir sind dabei, die Welt zu verschönern« und »ZE-RO: Wir sind für alles.«

In der bildnerischen Produktion, die durchweg gegenstandslos war, die Expressives, Malerisches, Komposition und persönlichen Ausdruck als »historischen Ballast« verabscheute, sollte mit Reduktion und »Purifikation« ein Zustand von Ruhe und Ordnung, von Ausgleich und allgemeinem Einverständnis erreicht. werden. Kunst als schlichte Begleitmusik zum Krisenmanagement der in den 60er Jahren ausbrechenden gesellschaftlichen

A N Z F. I G F.

Turbulenzen. .Monochrome, Flächen,, ser rielle Rasterbilder, Aluminiumfolien, rotierende Scheiben aus Plexiglas und gerastertem Metall, bewegliche Lichteffekte, aus all dem kombinierte Op-art-Installationen von überwiegend anonymer Gestaltung verschafften den ZERO-Leuten schnell Publicity Man hatte das Farbe-Träufeln, die gestikulierenden Pinsel und die »nukleare Malerei« satt. 1970 wurde im Pavillon »Germania« auf der venezianischen Biennale der Durchbruch in die Weltspitze gefeiert, mit einer Ausstellung, die schließlich als »Bote der Versöhnung« nach Warschau ging.

Uecker hatte 1957 mit ersten genagelten Bildern seine erfolgsträchtige Machart angesteuert, aber nicht gleich eine Monokultur daraus gemacht, sondern mit Fingermalerei noch am Tachismus gehangen. 1961 überstrich er die Straße vor der Galerie seines Düsseldorfer Galeristen mit weißer Farbe, und Josef Beuys sah amüsiert zu, und 1965/66 suchte er sich dafür lebende Baumstämme im Walde aus. Und in der Nägelflut der folgenden Jahrzehnte immer wieder frische Variationen. 1968 leistete sich ein Dortmunder Supermarkt einen 20 Meter langen Uekker-Nagel für die Ladenfront; 1969 Be-

nagelung eines Ackers sowie Palisaden und Fallgruben mit nagelartigen spitzen Pfählen.

Die meisten Nagelwerke sind ästhetische Veranstaltungen, wie sie auch die erste größere offizielle bundesdeutsche Ausstellung in Ostberlin und Dresden 1986 in ihrem geschmackvollen, unverbindlichen Charakter unterstützten, als Lichtartikulationsmittel, wie Uecker sagte. »Günther Uecker«, schrieb ich damals in der »Wochenpost«, »regt vermutlich die Betrachter besonders an, denn seine Spezialität, genagelte Malerei, ist zum einen noch originell, zum anderen durch jahrzehntelange Praxis virtuos in Technik und Wirkung. Es sind Wälder, Felder, Meere, Wolkenhimmel und anderes aus Nägeln ... räumlich bewegt und attraktiv, wenn das Licht mitspielt.«

Und kritischer las man's bei mir in der Zeitschrift »Bildende Kunst« über »den bei unserem Publikum sehr gut angekommenen Günther Uecker«: »Mit wenigen Ausnahmen ... verzichtet er auf die ganz offenkundig im Material steckende Potenz des Dramatischen und Tragischen und damit auf größere humane Dimensionen. Dafür klinische Reinheit und technische Kühle betonend, verweist er seine Arbeiten in gehobenes Kunsthandwerk für die Foyeurs von Versicherungspalästen und Nobelhotels.«

Übrigens hat Mecklenburg-Vorpommern eines der »dramatischen« Uecker-Werke schon im Lande: den mit seinen knallenden elektrischen Entladungen die Sammlung griechischer Vasen in einem Obergeschoß des Güstrower Schlosses erschütternden Riesennagel, dort abgestellt von einem Uecker-Sammler

In den 80er Jahren ist im Werk, wie sein Biograph Dieter Honisch meint, ehemals Direktor der Westberliner Nationalgalerie, eine »totale Abrüstung« eingetreten. Die Nägel wurden von Schnüren teilweise zurückgedrängt. Sand, Asche und weiße Farbe erhielten inhaltliche Bedeutungen. Aschebilder sind zwar nichts neues, sollten sich aber 1986 direkt auf Tschernobyl beziehen und zeigten m a; in Erinnerung an die in Hiroshima verglühten Menschen menschliche Silhouetten auf Aschegrund. Schon 1981 meinte Uecker, der Künstler sei verpflichtet, die Bedrohung des Menschen zu seinem Thema zu machen, um dessen Gefährdung abzuwehren. Dem folgten 1983 eine Installation »Die Gefährdung des Menschen durch den Menschen«, 1991 die Aschebilder für Prag und der Zyklus »Rußland - Rußland« und 1993 die Beendigung des Komplexes »Der geschundene Mensch«. Und er meinte jetzt, »daß ZERO eine feine Ersatzgesellschaft« gewesen sei, »bestenfalls eine bürgerlich-individuelle Bruderschaft«.

Uecker stellte weiter Nagelobjekte her, variantenreich von Riesennägeln - wie im Güstrower Schloß - bis zu mehreren Nagelwäldern, dicht mit Nägeln überzogenen Baumstämmen (bis 14teilig); von einem kultischen Prachtstück aus einer Ulme in einem Pavillon in Wuppertal bis zu den Exemplaren in der Nationalgalerie.

Aber er hat sich, ohne bildhaft im Sinne abendländischer Kunsttradition zu

werden, von der Bewunderung des »leeren Menschen«, von der banalen »All-ispretty-Ideologie« der Wunderwirtschaftsjahre und von der entsprechenden defeorativ langweiligen,JLInverbi(id4chkeit ZEROs doch ein Stück entfernt Das ging einher mit der Verlagerung Ueckerscher Aktivitäten nach Osten, nach Warschau, Prag, Budapest, mit einer großen Fahrt auf der Transsib bis China und einem längeren Aufenthalt in der UdSSR 1987 und gipfelte 1988 in einer totalen Uecker-Show im großen Ausstellungshaus des ehemaligen Künstlerverbandes am Krimsky Wal in Moskau mit 820 Werken. Uecker gehört zu den erfolgreichsten DDR-Emigranten, von denen er sich dadurch unterscheidet, daß er aus einem künstlerischen Dürregebiet kam und bislang als einziger ernsthaft zurückstrebt. Bei seiner Berufung an die Düsseldorfer Kunstakademie befragt, ob er politisch wirken werde, hatte er geantwortet: »Ich freue mich, denn als DDR-Veteran kann ich mit handfesten Erfahrungen aufwarten.« Er ließ sich von den »Wende«-Demonstrationen in Leipzig, wie man in der Biographie nachliest, zu Fingermalereien und »Erregungshandlungen« anregen, die er in der Leipziger Galerie Eigen & Art 1990 ausstellte und nahm 1992 an der »3. Bitterfelder Konferenz« teil. Das politische Interesse an einer dergestalt inszenierten triumphalen Rückkehr

Ueckers steht also außer Frage. Hier wird Künstlern wie Laien gezeigt, wie groß der Erfolg sein kann, wenn man richtige Westkunst macht, denn die macht Uecker natürlich trotz einiger Wandlungen konsequent. Von einem Uecker-Zentrum würden, so kann man sich die Gedanken der Kulturpolitiker vorstellen (»auch das Land wird Aufwendungen tragen«, sagt die Bürgermeisterin) Impulse für eine Angleichung hiesiger Kunstproduktion ausgehen. Diesem »Wiedereinrichter« haben auch die bekanntesten der ansässigen Künstler, etwa Jastram und John - aber auch Heisig ist ja nicht fern - keine vergleichbaren Markt- und Medienerfolge entgegenzusetzen. Und schon gar nicht kann ein Hiesiger aus dem Steueraufkommen für seine Selbstdarstellung jährlich 100 000 Mark lockermachen, eine Summe, die zunächst mal viel sicherer ist als eine Tourismusattraktion Uecker-Zentrum. Ausschließen will ich sie aber nicht.

In Vorbereitung auf Ueckers Einzug in Wismar haben“ wir aus den bisherigen Angleichungen der Kunstverhältnisse schon ernstzunehmen gelernt, was der Bildhauer 1977, im Jahre nach seiner Berufung zum Kunstprofessor, sagte: »Wenn wir meinen, das, worüber wir jetzt sprechen, sei Kunst, dann ist es das. Sonst ist es das gar nicht.«

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