Der Fall des Stolzes von Stralsund
Mittelmäßiger Schachspieler führte seine Umwelt hinters Licht
Teschke: Per Zufall: Nachdem Herr Schoschies Anfang 2005 in Stralsund zum »Sportler des Jahres« gewählt worden war, las ich darüber in einer lokalen Zeitung. Und bin stutzig geworden, weil ich den Preisträger vorher schon einmal am Rand eines regionalen Turniers gesehen hatte; er hatte damals die Stärke eines mittleren Klubspielers.
Hingegen meldete Herr Schoschies regelmäßig Turniererfolge im Problemschach. Eine Variante, die höchstens Insider kennen: Werden solche Wettkämpfe tatsächlich veranstaltet?
Ja, diese besondere Sportart gibt es. Und sogar eine internationale Rangliste. Aber wenn Sie die überprüfen, stellen Sie fest, dass die Leistungsträger auch im Normalschach zur Weltspitze gehören.
In dieser Liga wollte Herr Schoschies aus Mecklenburg-Vorpommern mitmischen. Als Spitzenmann einer imaginären OPCF, Wie sieht es im echten Leben aus? Sind die Problemschach-Fans organisiert?
Unter der Ägide des Weltschachbundes FIDE hat sich die »Permanent Commission of the FIDE for Chess Compositions« formiert; die PCCC organisiert Weltmeisterschaften wie Anfang September 2004 im griechischen Halkidiki. Der deutsche Verband heißt »Die Schwalbe«.
In den Bestenlisten von PCCC oder »Schwalbe« ist Schoschies
niemals aufgetaucht; schlauerweise wollte er alle Siege stets im Rahmen einer ominösen »OPCF« errungen haben...
...aber das wirklich dicke Ding leistete er sich mit seiner angeblichen Olympia-Aktion. Auf der Homepage des TSV Stralsund berichtete er von einer Problemschach-Demonstration in Athen 2004. Vom NOK kam aber die Auskunft: Ein derartiger Schaukampf sei nicht bekannt.
Jetzt ist die Aufregung über den Schwindel groß. Der TSV 1860 hat seinen Ex-Vorsitzenden Schoschies bereits ausgeschlossen. Wollen die Stralsunder davon ablenken, wie leicht sie es ihrem selbst ernannten Schachgenie gemacht haben?
Erstens suchte sich Herr Schoschies die Randsparte Problemschach aus. Das war sein Vorteil, offensichtlich kennen sich in Vorpommern nur wenige damit aus. Zweitens wirkt er dem Vernehmen nach absolut normal. Er tritt bescheiden auf, ist humorvoll - wer mochte also an einen Hochstapler glauben?!
Gleichzeitig hat er unbestreitbar PR-Talent bewiesen: Das abseitige Thema Problemschach aufzubauschen und sich auf diese Weise in die Medien zu hebeln.
Das ist wirklich beeindruckend. So etwas kann man nur erfinden, wenn man ein Schachfanatiker ist.
Folglich ist die Schoschies-Story im Kern ziemlich witzig. Abgesehen von einem faden Beigeschmack: Die vermeintliche Problemschach-Hoffnung von der Küste kassierte öffentliche Gelder ab, um die Teilnahme an Turnieren zu finanzieren, die nie stattgefunden haben.
Und das ist schade. Das Ganze wäre schöner, wenn keine Gelder geflossen wären. Andererseits lässt sich zugespitzt fast sagen: Ist dem Herrn Schoschies ein Vorwurf daraus zu machen, dass er, wenn man ihn ohne weitere Überprüfung quasi mit Geld bewirft, das Geld anschließend auch auffängt?!
Nebenbei sei angemerkt, dass Prahlereien und Lügenmärchen zur Schachgeschichte gehören. Ein gewisser Prinz Dadian von Mingrelien bezahlte arme Meister dafür, dass die sich vom eitlen Adelsmann effektvoll matt setzen ließen. Und ein Turnier »Zum Gedenken der Helden von Tschernobyl«, laut Pressemitteilung Anfang April 2005 in Slavutich bei Kiew über die Bühne gegangen, ist wenig später als schamloser Betrug entlarvt worden...
...insofern hat Herr Schoschies mit seinen wunderbaren Geschichten die ehrwürdige Tradition des fiktiven Schachs fortgesetzt.
Eigentlich müsste Herr Schoschies über seine Schach-Köpenickiade nun ein Buch schreiben...
...das wäre ein würdiger Abschluss der Geschichte.
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