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Ruhe einkehren

Streik mit Teilerfolg / Abstimmung über Haustarif Von Peter Liebers

  • Lesedauer: 4 Min.

In dem zur Goldeck-Süßwaren GmbH in Leipzig gehörenden Zetti-Werk in Zeitz wird heute in einer Urabstimmung darüber entschieden, ob der von Gewerkschaft und Unternehmensleitung ausgehandelte Tarifkompromiß akzeptiert oder weiter gestreikt wird.

Die Tarifpartner hatten sich Ende voriger Woche auf einen Haustarifvertrag mit einer Laufzeit bis Ende September nächsten Jahres geeinigt, der Lohnerhöhungen um jeweils 80 Mark für alle Lohngruppen zum 1. September und im April kommenden Jahres vorsieht. Er enthält zugleich eine Option für eine weitere Gehaltserhöhung im Oktober 1999 Die Vereinbarung gilt auch für Goldeck in Leipzig. Eine Maßregelungsklausel verbietet Sanktionen gegen jenen Teil der Belegschaft, der gestreikt hat, und sichert den am Arbeitskampf beteiligten Saisonarbeitern im Falle des Bedarfs eine bevorzugte Wiedereinstellung.

Die Streikenden haben damit allerdings nur einen Teilerfolg erzielt. Das Ergebnis bleibt mit einer Gesamtlohnerhöhung um 160 Mark innerhalb eines Jahres deutlich hinter ihrer Forderung nach einer stufenweisen Erhöhung der Einkommen um 1000 Mark zurück. Damit werden bei Goldeck-Zetti immer noch Löhne gezahlt, die weit unter dem branchenüblichen Durchschnitt in den neuen Bundesländern liegen.

Der Konzernbeauftragte, Wolfgang Sablotny, erklärte auf einer Pressekonferenz das plötzliche Einlenken nach dem

vierwöchigen Streik damit, daß inzwischen Verluste von mehreren Hunderttausend Mark entstanden seien und er »endlich Ruhe im Unternehmen haben« wolle. Völlig unklar ist noch, was mit jenen Arbeitskräften passiert, die während des Streiks neu eingestellt wurden. Darüber muß Sablotny zufolge erst noch entschieden werden. Seine Ankündigung, daß im ersten Quartal kommenden Jahres die Produktion in dem Betriebsneubau in Zeitz aufgenommen und damit ein deutlicher Rationalisierungseffekt erreicht werden soll, stieß bei den Streikenden auf Skepsis. Ob damit Entlassungen verbunden sein werden, mochte Sablotny nicht sagen.

Nach der Urabstimmung müsse zunächst versucht werden, »die Wunden zu heilen«, die durch die Spaltung der Belegschaft während des Streiks entstanden seien, räumte Edmund Mayer von der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten ein. Daß keine einheitliche Streikfront zustande kam, mit der ein deutlich besseres Ergebnis hätte erreicht werden können, erklärte er auf ND-Nachfrage mit »der Situation in unserer Gesellschaft«, in der Egoismus und Ellenbogenmentalität dominierten. Die fatale Folge davon ist, daß in Zeitz die Streikbrecher von dem Arbeitskampf mehr profitieren als die Streikenden. Es waren vor allem Stammbeschäftigte, die weitergearbeitet hatten. Sie ernten jetzt die - kleinen - Früchte des Ausstandes, während die Verträge der Saisonkräfte, die den größten Teil der Streikenden gestellt hatten, Ende September auslaufen.

Sablotny verpaßte diesen noch einen zusätzlichen Tiefschlag mit der Ankündigung, daß künftig keine Saisonartikel

mehr produziert würden, da diese des Streiks wegen von den großen Handelsketten ausgelistet worden seien. Diese Erklärung wird von Gewerkschaftsvertretern allerdings als haltlos bezeichnet. Saisonartikel wie Weihnachtsbaumschmuck oder Osterhasen und ähnliches gehörten nicht zu den gelisteten Produkten, sondern würden Jahr für Jahr neu angeboten, sagte Mayer dem ND Außerdem sei die Solidarität zwischen den Unternehmern groß genug, um sich durch gegenseitige Lieferunterstützung vor Auslistungen zu schützen, weil damit allzu leicht ein Preisdruck auf alle ausgeübt werden könnte.

Mayer verwies außerdem auf die Grö-ße des Betriebsneubaus, der nur durch eine Ausweitung der Produktion auszulasten sei. Hinzu käme, daß das Unternehmen durch die langen Wartezeiten bei den Grenzkontrollen derzeit Schwierigkeiten habe, in Polen hergestellte Erzeugnisse termingerecht in die Geschäfte in Deutschland zu bringen. Angesichts dieser Probleme glauben Gewerkschaftsvertreter nicht daran, daß Goldeck Produktionslinien liquidiert oder in das östliche Nachbarland verlagert. Hinzu komme, daß jüngst zusätzliche Produkte auch von anderen Firmen übernommen worden seien. Offenbar solle die Belegschaft nur eingeschüchtert werden.

Nach Fernsehberichten über die desolate Wirtschaftssituation der Ost Com Holding, der Goldeck-Zetti gehört, wird in Zeitz derzeit allerdings immer noch daran gezweifelt, daß der neue Betrieb im kommenden Jahr fertiggestellt wird. Da werde nur ab und zu »mal dran geschraubt«, hieß es in Gewerkschaftskreisen. Auf ND-Nachfrage bestritt Sablotny die Korrektheit der Fernsehberichte über die Situation und behauptete, die Holding werde in Kürze an die Börse gehen. Einer Streikenden, die von ihm wissen wollte, ob er sich denn vorstellen könne, von dem Geld zu leben, das er ihnen als Lohn zumutet, begegnete der Geschäftsführer mit Schulterzucken. Da könne er ihr auch nicht helfen, beschied er der Frau, bevor er in seiner Nobelkarosse entschwand.

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