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Spiel mit dem Feuer

Iran - Afghanistan Ein Einmarsch in Afghanistan würde Irans Rückkehr in die internationale Arena gefährden Von Thomas Ruttig

  • Lesedauer: 3 Min.

Als gestern die Leichen von sechs Diplomaten und des IRNA-Korrespondenten Mahmud Zaremi an Bord eines UN-Flugzeuges in Teheran eintrafen, schlugen die Emotionen hoch.

Angehörige der in Afghanistan Ermordeten und weiterer Geiseln hatten sich versammelt und riefen »Tod den Taleban!«. Ein Teil der iranischen Presse stimmte ein. Nach letzten Angaben halten die afghanischen Ultraislamisten immer noch 45 Iraner fest, darunter Lkw-Fahrer und Mitarbeiter iranischer Hilfswerke. Auch über den Verbleib 'der übrigen fünf vermißten Diplomaten herrscht Unklarheit, auch wenn in Teheran jüngst von zwei Überlebenden berichtet wurde.

Obwohl die Taleban zugaben, daß die Mörder »Abtrünnige« aus den eigenen Reihen seien, weigern sie sich, die Schuldigen auszuliefern; sie würden in Afghanistan vor Gericht kommen. Die Taleban wollen offensichtlich einen Handel: den

Austausch gegen 350 gefangene Taleban, die ihre Gegner von der schiitischen Wahdat-Partei nach Iran gebracht haben sollen, sowie den nordafghanischen Warlord Abdul Malek Pahlawan. Der hatte 1997 etwa 2000 gefangene Taleban massakrieren und in mehreren Massengräbern verscharren lassen und lebt seit seiner Flucht in Iran.

Zudem drückt die Einnahme der zentralafghanischen Stadt Bamian durch die Taleban am Sonntag auf die Stimmung im Iran. Durch den Verlust des dortigen lebenswichtigen Flughafens verliert die Wahdat-Partei, wichtigster afghanischer Protege des ebenfalls vorwiegend schiitischen Iran, ihre Hauptnachschublinie. Jetzt kann sie nur noch über Land versorgt werden - durch Taleban-Gebiet. »Mit blutendem Herzen und Tränen in den Augen verfolge ich aufmerksam die Ereignisse«, teilte Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei seinen Verbündeten mit.

Die für die kommende Woche angekündigten Manöver »mit scharfer Munition« von 200 000 iranischen Soldaten und Revolutionswächtern (Pasdaran) an der iranisch-afghanischen Grenze heizen die Stimmung weiter an. Schon fragen sich Beobachter in Analogie zum Golf-

krieg, ob die größte Truppenkonzentration, die Iran je erlebt hat, ohne weiteres wieder aufgelöst werden kann. Schon nach einer Militärübung in der vorigen Woche blieben die 70 000 Beteiligten mit schweren Waffen demonstrativ in der Region, darunter eine 7000 Mann starke Schnelle Eingreiftruppe der Pasdaran. Pasdaran-Einheiten sind auslandserfahren: Sie dienten als »Freiwillige« bereits in Libanon und, während der sowjetischen Besetzung, auch in Afghanistan. Brigadegeneral Abdol Ali Purshasb, Kommandeur der Armeekontingente, erklärte, seine Einheiten seien bereit, »wenn nötig« über die Grenze gegen die Taleban loszuschlagen.

Aber noch hält sich die Teheraner Führung zurück. »Bisher habe ich es verhindert, daß die Region in einen Brand gesetzt wird, der nicht so leicht wieder zu löschen wäre«, warnte Revolutionsführer Khamenei am Montag in den elektronischen Medien seines Landes. »Aber alle sollten wissen, daß die Gefahr sehr groß und sehr nahe ist.«

Auch für Iran selbst. Vor allem wäre die mühsam angestrebte Rückkehr in die »Weltgemeinschaft« gefährdet. Die Ansätze zur Normalisierung mit den USA und Saudi-Arabien, neben Pakistan Hauptförderer der Taleban, wären mit einem Einmarsch mit einem Schlag zunichte, vielleicht auch das Tauwetter im Verhältnis zur EU. Dies wiederum ist die Hauptvoraussetzung für einen Wiedereinstieg Irans ins internationale Ölgeschäft. Solange nämlich im Nachbarland Afghanistan Krieg und ein international weitgehend geächtetes Regime herrscht, ist Iran die wirtschaftlich vernünftigste Transitroute für das Öl aus dem Süden der GUS.

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