- Politik
- Vor 70 Jahren wurde der Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller gegründet
Mehr als eine Episode
Von Dieter Schiller
Sieben Jahre lang hat der »Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller« (BPRS) bestanden, vier davon unter legalen Bedingungen in der Weimarer Republik, drei im illegalen Widerstand gegen das Naziregime in Deutschland und im antifaschistischen Exil. Allein deshalb schon kann der Bund mehr als nur eine Fußnote in der Literaturgeschichte für sich beanspruchen. Freilich, wie manche andere Vorgänge und Erscheinungen aus der Geschichte mußte er herhalten, realsozialistische Kulturpolitik historisch zu legitimieren, besonders dann, wenn politische Disziplinierung angesagt war Das hat seither für viele Leser die Optik verzerrt und verzerrt sie noch heute, vorausgesetzt, man schaut noch hin. Deshalb ist der Jahrestag der Gründung eine gute Gelegenheit, Leistung und Irrtümer der Leute neu zu besichtigen, die der proletarischer} und revolutionären Literatur innerhalb der Arbeiterbewegung Geltung verschaffen wollten, sie wirksam machen wollten für die damals so nahe geglaubte soziale Revolution.
Eine Gruppe des Berliner Dada um die Brüder Herzfelde und den Malik-Verlag war schon in der Gründungsnacht der kommunistischen Partei beigetreten. Wie sie, suchten auch eine Reihe linksexpressionistischer Autoren - Johannes R.
Becher vor allem - Kulturpolitik im Sinne dieser Partei zu machen. Schließlich wurde Willi Münzenbergs Internationale Arbeiterhilfe zum Ausgangspunkt für den spektakulären Versuch, durch einen Verbund von Organisationen, Zeitungen und Verlagen eine Alternative zur bürgerlichen Öffentlichkeit und ihrer Medienwelt zu schaffen. Den kommunistischen Schriftstellern erschien es möglich,_ die Zwänge des kapitalistischen Literaturbetriebes zu lockern, indem sie sich der politischen Disziplin einer Partei unterwarfen, die - mit Blick auf die Oktoberrevolution in Rußland - beanspruchte, nur unter ihrer Führung sei ein Ausweg aus den sozialen Verwerfungen und der kulturellen Krise der Nachkriegsgesellschaft zu finden.
Der Bund war nicht der erste Versuch, der radikalen Linken in der Literatur eine organisatorische Struktur zu geben. Eine »Gruppe 1925« mühte sich vergeblich, »geistesrevolutionäre« Autoren verschiedener politischer Richtungen zu vereinen. Erfolgreich dagegen war die »Arbeitsgemeinschaft kommunistischer Schriftsteller«, die innerhalb des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller wirkte. Doch blieb eine solche Organisationsform auf Berufsautoren beschränkt, die eine kleine Gruppe unter den schreibenden Parteiarbeitern, den Journalisten und Redakteuren der Parteipresse ausmachten. Vor allem aber waren sie als Linksintellektuelle durch Bildung und schriftstellerisches
Know-how privilegiert gegenüber der wachsenden Zahl von revolutionären Arbeiterkorrespondenten und schreibenden Arbeitern. Gerade die aber waren - nicht ganz zu Unrecht - mit ihrer Klassenerfahrung im Verständnis breiter Kreise der Partei die eigentlichen Repräsentanten einer proletarischen und revolutionären Literatur. Sie vertraut zu machen mit theoretischem und handwerklichem Rüstzeug, ihnen ein Forum zur Debatte und auch das Selbstbewußtsein zu verschaffen, das zum öffentlichen Wirken gehört, erforderte einen organisatorischen und institutionellen Rahmen.
Als der BPRS am 19 Oktober 1928 in den Berliner Sophiensälen offiziell gegründet wurde, ging es erklärtermaßen darum, diese beiden Strömungen der Literaturbewegung zusammenzuschließen, die an den Zielen der Kommunisten orientiert war Der unmittelbare Anstoß kam von einem Parteitagsbeschluß der KPD über die Gründung kommunistischer Kulturorganisationen und vom Moskauer Internationalen Büro für revolutionäre Literatur. Bestimmend war das bolschewistische Organisationsprinzip, das Disziplin und ideologische Konformität forderte, vor allem aber kritiklose Zustimmung zum sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion - und damit auch zur rigiden Stalinisierung. Ausgegrenzt waren damit alle, die als Schreibende für die revolutionäre Erneuerung der Gesellschaft, aber nicht für eine Parteidiktatur votier-
ten, zuzeiten wurden sogar eindeutig »Sympathisierende« als konterrevolutionär beschimpft.
Ein Primat der Politik gehörte zum Selbstverständnis der im Bund vereinigten Autoren. Operative, eingreifende Literatur hatten sie auf ihre Fahne geschrieben. Meist tagespolitisch orientiert, beschränkte sie sich nicht selten auf Agitation, illustrierte sie Parteidoktrin und aktuelle Parteilinie. Sie war dort ästhetisch innovativ, wo eine unmittelbare Wechselwirkung von Dichter und Massenpublikum zustande kam wie bei Weinert und - zum Teil - im Agitprop. Ihre bleibenden Leistungen entstanden, wo eine nüchterne Chronik internationaler Klassenkämpfe dargeboten wurde wie bei Seghers, oder wo proletarische Lebensläufe authentisch erzählt wurden wie bei Turek. Bedeutsam war - und bleibt schließlich die literarische Dokumentation der politischen Alltagswirklichkeit im proletarischen Milieu, so sehr sie oft, überlagert wurde von kurzatmigen ideologischen Vorgaben und revolutionären Illusionen.
Der Bund war eine Solidargemeinschaft gegen behördliche Verfolgung revolutionärer Literatur und für zielstrebige Entwicklung ihrer Autoren - aber er war nichts weniger als homogen. Die Schreiber aus der Arbeiterklasse begehrten auf gegen die Linksintellektuellen der Führungsgruppe um Johannes R. Becher Diese wiederum führte einen Zweifrontenkrieg, zum einen gegen den Hegemonieanspruch proletarischer Autoren, zum anderen gegen dokumentarisch-berichtende Schreibweisen und darüber hinaus auch gegen literarische Verfahren der Avantgardekunst. Zur politischen Ausgrenzung gesellte sich so eine ästhetische. Die »Linkskurve«, wichtigste Zeitschrift
des Bundes, hat mit heillosen Attacken auf linke Autoren wie Heinrich Mann, Ernst Toller und Alfred Döblin nicht nur viele Bündnis-Chancen verspielt, sondern auch die eigenen Genossen verprellt. Egon Erwin Kisch beispielsweise hielt Distanz und wurde erst wieder aktiv, als der Bund nach 1933 eine neue, weitherzigere antifaschistische Strategie zu entwickeln begann. Die Auflösung des Bundes erfolgte unbemerkt, ohne jede Öffentlichkeit, nachdem im Sommer 1935 der Pariser Kongreß zur Verteidigung der Kultur eine Internationale Schriftstellerassoziation ins Leben gerufen hatte.
Fazit. Es wäre falsch, zu glauben, von den Anfängen der modernen sozialistischen Literatur um 1918 führe ein gerader Weg zum Bund, seinem Organisationsmodell und seinen - freilich niemals bis zu Ende geklärten - programmatischen Vorstellungen. Der Bund, so heißt es in der ersten Gesamtdarstellung seiner Geschichte von Ch. M. Hein, war ein kulturpolitisches Experiment, ein Experiment allerdings, das bei der Partei, der er sich vorbehaltlos verschrieb, wenig Interesse und nur mäßige Unterstützung fand. In der »roten Kulturfront«, die sich im Umkreis der kommunistischen Bewegung entwickelt hatte, ist der Bund ein Glied, ist er ein Versuch, Literatur und Schriftsteller zu organisieren und sie zu einem Faktor politischer Umgestaltung zu machen. Insofern bleibt er ein Lehrstück, das kritische Aufmerksamkeit verdient, zumindest bei Freunden der sozialistischen Literatur und unter den Gebildeten ihrer Verächter
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