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SS-Spuk im Spessart
Ein Traditionstreffen im idyllischen Marktheidenfeld und die Klagen griechischer Opfer in Distomo und Klissura
Das Denkmal für die Opfer des Massakers im griechischen Klissura
SS-Zugehörigkeit und Täterschaft werden am Gedenkstein in Marktheidenfeld schamhaft verschwiegen (rechts)
Fotos: haruspex
Von Gabriele Kleiner
Marktheidenfeld ist eine Stadt, in der sich leben läßt. Idylle an Main und Spessart, mit Freizeitwert und Fremdenverkehrsehrgeiz, mit Winzerfesten und pikantem Sinn für Tradition. Marktheidenfeld mit knapp 11 000 Einwohnern und einem »großen Sohn«: Hitlers Lieblingsmaler Hermann Gradl. Der hatte den Höhepunkt seines Lebens, als ihn sein »geliebter Führer« persönlich zu sich lud. Die Marktheidenfelder machten Hitler und Gradl zu Ehrenbürgern. Den Gradl haben sie immer noch, eine Straße ist nach ihm benannt.
Das Städtle kann aber noch eine weitere Attraktion aufweisen: Seit 45 Jahren ist es »Wahlgarnisonsstadt« der 4. SS-Polizei-Panzergrenadierdivision. Einer Division mit Blutspuren
Dem rundlichen Herrn am Stammtisch des »Hotels zur schönen Aussicht« geht vor Erregung der Baß flöten: »Uns're Stadt ist schwärzer als schwarz, dös schreib'n S' sich hinter die Ohre!« Zwei Ratsherren und andere in der Runde nikken. Herr Roth, der Wirt, wumst seine Riesenpranke aufs Eichenholz: »Die SS-Leut' haben für Deutschland gekämpft, fürs Vaterland, Punkt, Aus! Und Schluß!« Seine Gattin gibt noch eins drauf: »Die Mannsleut war'ns Helden, jawoll!«
Seit über 40 Jahren verwandelt sich das Hotel an der Main-Brücke an einem Herbstwochenende während des Kameradschaftstreffens der 4. SS-Polizei-Panzergrenadierdivision zum Hauptquartier Neben der Wirtin sitzt der 78jährige Ökobauer und ehemalige SS-Obersturmführer Rudzinski, dessen Name bitte nicht mit polnischem »y« geschrieben wird. Im September hat er für SPD und Grüne gestimmt. Mit »Sesselfurzern, Weichlingen wie Waigel und Co.« hat R. nichts am Hut. »Typen« wie Frey und Schönhuber setzt er gleich mit Goebbels, dem »Großmaul, dem Feigling«. R. war 17, als er sich zu Hitlers Waffen-SS meldete. Betrogen fühlt er sich. Das stimmt. Um seine Jugend. Aber Reue? Nein. Weswegen? Für Deutschland würde er wieder marschieren. Schlimm, daß nur ein kleiner Teil der Jugend noch etwas von Treue und Pflichterfüllung halte.
Die Division - an die 20 000 Mann, Deutsche, Österreicher, »Volksdeutsche« - zog einst durch Frankreich, Rußland, den Balkan, Griechenland. Die »Kameraden« geben zu, daß es »Übergriffe« gab. Aus Rache, wie sie sagen. Unter Schock. Außerdem gab es die OKW-Befehle zur »Banditenbekämpfung«. Und überhaupt: »Warum hat der Gegner damals seine Frauen und Kinder aus den ins deutsche Visier geratenen Dörfern nicht in die Berge geschafft? Wenn sechs unserer Leute von den Partisanen umgelegt wurden, war es doch normal, wenn dafür 200 von denen dran glauben mußten.«
Sturmbannführer a. D Basse, Jahrgang '21, ist im Frieden Kompressorenhändler Basse hat einen Leitspruch: Bevor meine Mutter weint, weint deine Mutter In Griechenland war er 1944 stationiert. Das Land bringt ihn zum Schwärmen: Die Landschaft, die Antike, die Gastfreundschaft! Als Tourist war er oft wieder dort. 1997 lud ihn sogar ein griechischer General ein. Der wollte aufklären, wie und warum sein Vater 1943 von Angehörigen der SS-Division ermordet wurde. »Im Generalsauto hat man uns durch die Gegend gefahren«, begeistert sich Basse. Helfen hätte man dem Griechen natürlich nicht können. Er, Basse, sei damals in Amflssa stationiert, gewesen. Bis zum Rückzug, September 1944.
Knappe 50 Kilometer von Amfissa entfernt liegt Distomo. Doch fällt dieser Name, bekommen die Gesichter einen unwissenden Ausdruck. Fragt man nach SS-Hauptsturmführer Lautenbach, kommt ein gereiztes: Der hat für seine Schuld gebüßt, ist noch kurz vor Kriegsende gefallen. Außerdem sei man es nach so vielen Jahren leid, immer auf das Gleiche hin angesprochen zu werden! »Das Gleiche« meint zwei abscheuliche Massaker, begangen in Distomo und Klissura von der Kompanie Lautenbachs.
Keiner der Überlebenden hat je eine wirkliche Wiedergutmachung erhalten oder von offizieller deutscher Seite ein
Wort der Entschuldigung gehört. Klagten sie vor deutschen Gerichten, wurden ihre Forderungen zurückgewiesen. Verurteilten griechische Zivilgerichte die Bundesregierung zur Entschädigungszahlung, so legte die - wie am 24. April gegen das Urteil des Landesgerichts von Livadia (Distomo) - Widerspruch ein. Abzuwarten bleibt, ob die neue Bundesregierung bei der ignoranten Haltung ihrer Vorgängerin verharrt. Zur »Wiedergutmachungskonferenz« in Delphi im Sommer noch sandten die Grünen eine Grußbotschaft: Jedes Opfer des Nationalsozialismus solle einen Lebensabend in Würde verbringen. Deshalb hätten sie sich immer dafür eingesetzt, den Opfern nicht nur Almosen, sondern bei materieller Bedürftigkeit auch Rentenzahlungen zu ermöglichen. »Unser Ziel ist - und wir sind bedauerlicherweise in der Opposition, nicht an der Regierung -, daß für all diese Probleme politische Lösungen gefunden werden.«
Im »Hotel zur schönen Aussicht« macht während des Traditionstreffens ein Flugblatt die Runde: »Unsere Soldaten waren keine Verbrecher! Für die Ehre der Deutschen Wehrmacht!« Es ist ein Aufruf zu einer Protestveranstaltung gegen die »Verunglimpfung der Wehrmacht«. Auch Herr Tucholke, ehemals SS-Gruppenführer, fühlt sich verraten und verleumdet. Von Medien und einigen Politikern. Schließlich sei man damals
schon für das westliche Europa gegen den Bolschewismus ins Feld gezogen. Sogar Strauß und Adenauer hätten für die SS eine Lanze gebrochen. Alle Welt spreche heute vom Holocaust, über Dresden aber niemand. Tucholke, der nach dem »Endsieg« eigentlich »Provinzverwalter« in den »Ostgebieten« werden sollte, hält seiner SS-Division zugute, daß in ihr hauptsächlich Polizisten dienten, die auch nach dem »Zusammenbruch« wieder in den Polizeidienst übernommen wurden. Er selbst sei bis zur Pensionierung Kontaktbeamter gewesen, zuständig auch für den Jugendaufbau.
An die 70 »Kameraden« waren zu diesem 45. Traditionstreffen gekommen. Ein kläglicher Rest, gemessen an den sechsbis achthundert »Haudegen« früherer Zeiten. Vorbei seit einigen Jahren das Volksfest mit Bierzelt, »Divisionsparade« und Kameradschaftsabenden. Geschäftsleute, Pfarrer, Stadträte Marktheidenfelds tranken in den Jahren '65 bis '72 ungetrübt den Federweißen mit Wilhelm Radke. Der war damals Kommandeur der 2. Abteilung einer Einheit des Bundesgrenzschutzes und gleichzeitig Vorsitzender des SS-Kameradschaftsvereins. 1970 wurde der ehemalige Obersturmbannführer wegen Mordes an über 1000 sowjetischen Juden verurteilt. Ein Jahr
später kam er gegen eine Kaution von 15 000 Mark wieder auf freien Fuß. Radke übermittelte noch 1997 seinen alten »Kameraden« beste Kampfesgrüße.
Auch was man inzwischen über die SS-Massaker in Distomo und Klissura in deutschen Zeitungen lesen konnte, scheint viele Bürger Marktheidenfelds nicht zu schockieren. Jusos, SPD-Stadträte und Grüne, die seit Jahren versuchen, dem braunen Spuk ein Ende zu setzen, tragen heute wie damals ein rotes Stigma. Bei dieser Stimmung wirkt die Arbeit des 38jährigen Stadtrats Martin Harth (SPD), und - wenn auch bescheiden - von Bürgermeister Dr Scherg (CDU), wie ein Davidskampf. 1984 schlug der Protest gegen das SS-Spektakel im Spes-
sart-Städtchen schon einmal Wellen bis hoch zum Bundestag. Sogar Willy Brandt war für ein Verbot. Seitdem heißt der braune Spuk offiziell nur noch »Urlaubstreffen«. Zu einem Verbot aber hat Dr Scherg denn doch nicht die Traute. Auf den Hausfrieden seiner Stadt zielend, zitiert er gern Rosa Luxemburg: die Freiheit der Andersdenkenden
Zur obligatorischen Kranzniederlegung am Divisionsdenkmal marschieren im Oktober 1998 die SS-Veteranen nicht mehr mit Standarten, Trommler, Divisionspfarrer und Bürgermeister an der Spitze. Man wird im Rollstuhl geschoben, wandert im Gänsemarsch in den Ehrenhain oder fährt im Wagen. Ein aufgeregter Schüler prustet aus einer Trompete »Ich hatt' einen Kameraden«. Wer kann, steht stramm. Heinz Jürgens, ehemals SS-Brigadeführer, Regimentskommandeur und seit 1975 Vereinsvorsitzender, hält seine Rede in den Regen hinein. »Treue«, sagt er, »ist das Wichtigste. Untreue findet ihre Strafe.« Am Abend gibt's im großen Hotelsaal Wein und Bratwurst. In einer Nische sitzen drei »Neuzugänge« aus Thüringen. Als Werner Hennig, Sturmbannführer a. D und Schatzmeister der Kameradschaft, sie vorstellt, erheben die sich um Zentimeter von ihren Stühlen und nicken lächelnd in den Saal hinein. Danach wird's langweilig. Für den Uneingeweihten. Nicht für Martin Harth.
Der Marktheidenfelder Stadtrat weiß, daß man die neue Regierung auch daran messen wird, wie sie mit Deutschlands Schuld umgeht. Der Plan einer Bundesstiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern sei ein Schritt in die richtige Richtung. Was aber wird aus denen, die man nicht zur Zwangsarbeit verschleppte, die jedoch das Grauen von SS-Massakern durchlebten? Kinder, die sehen mußten, wie deutsche Soldaten ihre Eltern, Geschwister, Verwandte abschlachteten! Sind sie keine Opfer? Dr Sigrid Skarpelis-Sperk, SPD-Vorstandsmitglied, äußerte sich jüngst in Athen gegenüber dem Anwalt der Distomo-Opfer, Ioannis Stamoulis: Es gebe 40 Millionen ermordete Männer, Frauen, Kinder Woher solle die Bundesrepublik die Mittel nehmen, um deren noch lebende Angehörige zu entschädigen? Gebe man individuellen Klagen nach, löse das eine Lawine aus. Auch der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland bewies unlängst, daß er wirtschaftlich selektiv zu rechnen weiß: Wolle man nicht in den Strudel individueller Entschädigung geraten, gebe es nur das Modell einer Bundesstiftung.
Eine Bundesstiftung zur »Wiedergutmachung« an osteuropäischen Zwangsarbeitern, von Gerhard Schröder auf den Weg gebracht, von Ignatz Bubis gutgeheißen, findet Martin Harth halbherzig, weil sie andere Opfer ausklammere. Er wollte im kommenden Jahr nach Distomo und Klissura fahren, wo im April und im Juni 1944 rund 500 Einwohner massakriert wurden. Was aber könnte er, SPD-Stadtrat aus Marktheidenfeld, den Überlebenden sagen? Daß auch Deutschlands neue Regierung »NS-Schuld und Sühne« mit wirtschaftlicher Elle mißt? Daß Griechenland eben nicht die USA, nicht Israel, auch kein osteuropäisches Land - und eine Bundesstiftung besser als gar nichts ist? Was das Rechtsempfinden von Martin Harth belastet, wird Bundesbürger wie die auf dem SS-Treffen in Marktheidenfeld freuen. Die fühlen sich in ihrer Unschuld bestätigt.
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