Ich bin froh, hier zu leben, ich bleib hier!«, hieß es bei der ersten DDR-Punkband Schleim-Keim. Dieter »Otze« Ehrlich, sein Bruder Klaus und Andreas »Dippel« Deubach kamen aus Stotternheim in Thüringen, sie gaben ihr erstes Konzert Ende 1981 vor 600 Leuten. Zumeist spielten sie in kirchlichen und privaten Kreisen, ihre Musik hatte nichts mit dem Kulturbetrieb samt seiner Einstufungsalmosen zu tun.
1981, ein halbes Jahrzehnt bevor sich unter dem Motto »Die anderen Bands« etwas musikalische Vielfalt im Jugendradio DT 64 und bei der Plattenfirma Amiga breitmachten, attestierte ein Großteil des dankbaren Publikums noch jeder harmlosen NDW-Kapelle vorschnell, sie wären Punk. Die Westsektoren galten als gelobtes Land. Schleim-Keim schrieen höhnisch: »Ich wär so gern in der Bundesrepublik, als Manager bei Thyssen oder Flick«. Otzes Texte barsten vor sexueller und politischer Derbheit, manchmal waren sie poetisch, immer eigenwillig. Otze hatte zweifellos ein Gespür für Slogans, wie man sie sonst nur von Rio Reiser kannte.
Schleim-Keim schufen Songs, die ihnen im DDR-Punk einen ähnlichen Stellenwert sicherten, wie er im Westen Ton Steine Scherben oder den Einstürzenden Neubauten in ihren Sparten zukam. In »Kriege machen Menschen« heißt es: »Deutschland hat den Krieg verloren, ja, aus diesem Grund wurde ich geboren, tats über Deutschland sauber krachen, tat mein Opa meine Mutter machen, mein Vater hat den Rest gemacht, ich habe zuletzt gelacht«. Otze krächzte seine Texte im thüringischen Dialekt ins Mikro, er spielte abwechselnd Schlagzeug, Bass- oder E-Gitarre; er war ein Kraftpaket, das sich nicht schonte, sondern zur Selbstzerstörung neigte.
1983 kam es zur ersten Plattenveröffentlichung mit einer DDR-Punkband. Das Westberliner Label Aggressive Rockproduktion brachte die Split-LP »DDR von unten/eNDe« heraus. Schleim-Keim waren unter dem Pseudonym Sau-Kerle vertreten, was aber nicht verhinderte, das Otze fortan immer wieder im Gefängnis landete, weil der Staat glaubte, dass »die ganzen Schmeißfliegen« dann nicht mehr so konzentriert auftreten würden, wie es bei den Konzerten der Fall war. Nichtsdestotrotz skandierte Otze schon 1986: »Wir sind das Volk, wir sind die Macht, es ist zu spät, wenn es erst mal kracht, das ist die Realität«.
Die Plattenfirma Höhnie Records hat sich seit den 1990ern immer wieder um diverse Veröffentlichungen von Schleim-Keim verdient gemacht. Kürzlich erschienen zwei CDs/LPs der ostdeutschen Urgesteine unter den Titeln »Nichts gewonnen, nichts verloren. Vol.1 - The Stotternheim-Tapes 84-87« und » Vol.2 - Die Gotha-Tapes 88-90«. Die Aufnahmen der Split-LP »DDR von unten« liegen der LP-Version von Vol.1 als EP-Zugabe bei. Einige Mitschnitte sind mit Otzes Rekorder »Babette« gemacht worden, der alte Zauber konnte in akzeptabler Qualität festgehalten werden.
1996 löste sich die Band endgültig auf. Trotz aller Bedeutung für den derben Rock n Roll fand sich Otze erst 1998 in der größeren Presse wieder, allerdings als Mörder, nachdem er seinen Vater in Folge des Dauerkonfliktes mit dem Beil erschlagen hatte, woraufhin Otze in der Anstalt landete. Dort soll es zu Zwangsverabreichungen von bewusstseinsschädigenden Medikamenten gekommen sein, Otze wurde mehrfach eine aktuelle Gefährlichkeit prognostiziert. Als Dieter »Otze« Ehrlich am 23. April 2005 starb, wurde Herzversagen als Todesursache angegeben.
Andreas Gläser
Schleim-Keim: »Nichts gewonnen, nichts verloren. Vol.1 - The Stotternheim-Tapes 84-87«; »Vol.2 - Die Gotha-Tapes 88-90« (Höhnie)