- Politik
- ? Revolution 1848
Das tolle Jahr
Der 150. Jahrestag der deutschen Revolution von 1848 hat die Aufmerksamkeit der Historikerzunft gefesselt und beflügelt wie kein Jubiläum zuvor In der langen Reihe der dem »tollen Jahr« gewidmeten Neuerscheinungen wird die Publikation des Insel Verlages ihren Platz behaupten. 26 zumeist ausgewiesene Historiker stellen jeweils einen Aspekt oder Ausschnitt aus dem Gesamtthema vor. Das erklärte Ziel der Herausgeber besteht darin, eine Bilanz des gegenwärtigen Wissens und Nachdenkens zu ziehen und ein dem derzeitigen Forschungsstand entsprechendes Bild der Revolution zu vermitteln.
Bereits in seinem Epilog meint Christof Dipper, die Niederlage der Revolution sei unvermeidlich gewesen. Diese Auffassung wird so oder ähnlich inzwischen von der Mehrheit der westdeutschen Historiker vertreten. Sie distanziert sich von früheren Schuldzuweisungen an die sich konstituierende Arbeiterbewegung, deren Auftreten die liberale Bourgeoisie angeblich der Konterrevolution in die Arme getrieben hätte. Sie entlastet zugleich die Bourgeoisie, indem sie sie von der Verantwortung für die Ausgestaltung der bürgerlichen Gesellschaft freispricht. Die Autoren sind mit einer Ausnahme (Helmut Zwahr) westlicher Provenienz.
Gleiches ist zu einem im Hain-Verlag erschienenen Band zu bemerken. Er präsentiert das Ergebnis einer in Jena durchgeführten Konferenz, deren Ziel es war, den Forschungsstand zur 48er Revolution
in Thüringen zu bilanzieren und neue Fragestellungen aufzuwerfen. Der wissenschaftliche Ertrag ist beachtlich. Defizite werden aber vor allem auf dem Gebiet der Sozialgeschichte offenbar, eine Tatsache, die nicht zuletzt mit der erst spät überwundenen Geringschätzung von Forschungen zur sozialen Struktur durch die DDR-Geschichtswissenschaft zu tun hat. Da finden in einer von Mathias Tullner verfaßten Publikation »Die Revolution von 1848/49 in Sachsen-Anhalt« sozialgeschichtliche Fragen schon etwas mehr Aufmerksamkeit. Hervorhebenswert hier auch der Abdruck der damaligen »Musterverfassungen«.
Die Herausgeber des Thüringer Bandes umschreiben die aktuelle Intention der Beschäftigung mit 1848/49 mit dem Satz: »Alte und neue Bundesländer haben hier wichtige gemeinsame Traditionen liberaler und demokratischer Aktivitäten.« (S. 11) Theoretischer Eckpunkt ist für die Herausgeber und die Mehrzahl der Autoren die Modernisierungstheorie. Weitgehend außerhalb des Blickfeldes bleibt, daß die Revolution 1848/49 auch schon vom Grundwiderspruch der bürgerlichkapitalistischen Gesellschaft geprägt wurde, dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Demgemäß werden die aus dem Aufbrechen entsprechender Konflikte herrührenden, über die bürgerliche Gesellschaftsordnung hinausweisenden Traditionen nicht reflektiert.
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