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- Mit Gerhard Sieber, Geschäftsführer der Icestorm Entertainment GmbH, im Gespräch über DEFA-Filme auf Video
Wir brauchen einen langen Atem
Foto: Die Hoffotografen
? Vor kurzem feierte die Icestorm Entertainment GmbH in Berlin ihr einjähriges Bestehen. Als deren Geschäftsführer haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, den DEFA-Filmstock auf Video auszuwerten. Auf welche Resonanz sind Sie damit bisher gestoßen?
Die Resonanz ist groß. Bis vor kurzem gab es ja kaum Möglichkeiten, die Filmgeschichte der DDR auf Video anzubieten, es hatte sich im Laufe der Jahre also ein Bedürfnis angestaut. Um unserer Firma eine wirtschaftliche Basis zu verschaffen, konzentrierten wir uns zunächst auf Märchen- und Indianerfilme: »Das kalte Herz«, »Die Geschichte vom kleinen Muck« oder »Die Söhne der großen Bärin«. Schon im Frühjahr '98 kamen die ersten modernen Klassiker der DEFA hinzu: »Ich war neunzehn«, »Solo Sunny« oder »Coming out«. Inzwischen ist das Repertoire vielfältiger geworden, es reicht von großen politischen Filmen der Nachkriegszeit wie »Der Untertan« oder »Der Rat der Götter« bis zu Opern und Operetten, verfilmter Literatur und Gegenwartsfilmen für Kinder wie »Olle Hexe« oder »Der Weihnachtsmann heißt Willi«.
? Nach welchen Kriterien stellen Sie Ihr Programm zusammen?
Pro Quartal wollen wir zwischen 12 und 20 Neuerscheinungen anbieten. Im Laufe der Zeit wird eine stattliche DEFA-Filmsammlung vorliegen, die nicht nur Spiel-und Kinderfilme, sondern auch Dokumentär- und Animationsfilme umfaßt. Hinzu kommen aktuelle Fernsehproduktionen, die sich mit DDR-Geschichte auseinandersetzen, wie »Das war die DDR« vom MDR. Nicht zu vergessen sind Filme aus Osteuropa, die von der DEFA synchronisiert wurden. Die von uns geplante Reihe sowjetischer Klassiker soll mit Titeln wie »Das Zigeunerlager zieht in den Himmel«, »Abschied von Matjora«, »Die Kraniche ziehen«, »Sehnsucht nach Dshamila« und anderen beginnen. Für dieses Programm brauchen wir natürlich einen langen Atem. Er beginnt damit, daß wir beim Herausbringen der Filme von verschiedenen Faktoren abhängig sind. Ein wesentlicher Punkt sind Rechtsfragen. Eigentümer der Rechte ist im Prinzip die DEFA-Stiftung, und dort Werden unsere Wunschlisten sorgfältig geprüft. Erst wenn eine Freigabe erfolgt, bestellen wir das Ausgangsmaterial für die Videoedition. Da wir uns um bestmögliche Qualität bemühen, aber die vorhandenen Filmkopien oft verschlissen sind, müssen die damit beauftragten Techniker meist an
das Originalnegativ heran. Das liegt im Bundesarchiv Dort ist man zwar sehr kooperativ, aber alles benötigt seine Zeit. So können wir den DEFA- und osteuropäischen Filmstock nur nach und nach erschließen.
? Noch einmal zu den Rechten. Unsere Redaktion erreichten Anfragen von DE-FA-Mitarbeitern, die sich danach erkundigen, ob sie nicht auch am Erlös der Videoeditionen beteiligt werden müßten.
In dieser Frage gab es lange Zeit Unsicherheiten. Es dauerte sieben Jahre, bis ein entsprechendes Rechtsgutachten vorlag. Dieses Gutachten besagt, daß die Filmrechte zu DDR-Zeiten von den Autoren und Regisseuren vertraglich an die DEFA abgetreten wurden - auch für sogenannte »zukünftige Verwertungsarten« wie das damals noch unbekannte Video. Die Autoren und Regisseure können ihre finanziellen Ansprüche selbstverständlich über die Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst geltend machen.
? Erik Neutsch hat sich in einem Brief an uns verwundert gezeigt, daß auf dem Videocover zu »Spur der Steine« kein Verweis auf ihn und seinen Roman zu lesen war.
Es tut uns leid, und es wird sofort mit der nächsten Auflage geändert. Wir können uns nur mit denn Übermaß an Arbeit entschuldigen, die in der Aufbauphase unserer Firma geleistet werden mußte.
? Sie kommen aus München, sind also nicht unbedingt mit dem DEFA-Film aufgewachsen. Woraus resultiert Ihr Interesse?
Ende der 80er Jahre arbeitete ich bei einem Münchner Videoanbieter, und diese Firma stand vor einen schwarzen Loch, als plötzlich die Lizenzen für den
Vertrieb von Filmen der amerikanischen Disney-Company und von MGM wegfielen. Ich suchte in unserem Archiv, womit wir noch arbeiten könnten, und stieß auf acht Kinderfilme, die mir gänzlich unbekannt waren. Sie kamen aus der DDR. Ich sah sie mir an und war begeistert. Aber ich hatte Vorbehalte zu bekämpfe'n. Freunde und Bekannte sagten, es sei wohl kaum möglich, daß ein Land, das keine vernünftigen Autos produzieren kann, vernünftige Filme herstellt. Dieses Urteil konnte widerlegt werden, und mit jedem Film fiel die Mauer im Kopf Stück für Stück. Es dauerte noch einige Zeit, bis ich mich entschloß, eine eigene Firma ins Leben zu rufen. Basis für diese Entscheidung waren Gespräche, die ich während der Berlinale 1997 mit der damaligen Geschäftsleitung, des Progreß Film-Verleih führte. Das bestärkte mich, das spannende Abenteuer zu wagen, DEFA-Filme auf Video zu vermarkten.
? Und wie kam es zum Firmennamen Icestorm?
Als ich im Dezember 1997 von Gesprächen in Los Angeles abflog, schien dort die Sonne, und es waren 25 Grad. In Berlin, wo ich die Firma gründen wollte, empfing mich Eisregen und schneidender Wind. So entschloß ich mich spontan zum Namen »Icestorm«. Dieser Name wird übrigens auch bald mit unserem Maskottchen korrespondieren. Unsere Kassetten soll von jetzt an ein Eisbär zieren, ein für alle Generationen faszinierendes Tier So wie auch die DEFA-Filme etwas zu bieten haben, das für alle Generationen faszinierend ist.
? Verkaufen sich Ihre Produkte in Ost wie West gleichermaßen gut?
Natürlich nicht. Einen solchen Markt wie die Ostpro unterm Berliner Fernsehturm, wo wir an zwei Tagen mehrere 100 Kassetten verkaufen konnten, gibt es nicht oft. Aus den neuen Bundesländern kommen zwar zahlreiche Anfragen, aus den alten aber sehr viel weniger. Das bestätigt nur meine Meinung, daß die Bereitschaft im Osten, Erfahrungen zu teilen, wesentlich größer ist als die Bereitschaft im Westen, zuzuhören. Wir wollen mit unserer Arbeit aber gerade auch zum deutsch-deutschen Dialog anregen, wollen die Mauer in den Köpfen abzureißen helfen. Zur Zeit denken wir sehr intensiv über neue Vertriebsstrategien nach. DE-FA-Filme gehören eben nicht unbedingt.^ in große Verbrauchermärkte und Vertriebsketten; sie gehen in dem Gesamtangebot, das vorwiegend von US-Ware diktiert wird, unter Unsere Zukunft wird
vermutlich eher darin zu finden sein, Kooperationen mit gut sortierten Buchhandlungen zu intensivieren.
? Vor kurzem wurde gemeldet, daß Icestorm mit DEFA-Filmen jetzt auch in den USA präsent ist. Wie kam es dazu?
Dank unserer Zusammenarbeit mit der DEFA Library an der Universität of Massachusetts entdeckten wir, daß man in den USA wesentlich offener und neugieriger an DEFA-Filme herangeht als etwa in Westdeutschland. So entschlossen wir uns, DEFA-Videos sowohl für den Vertrieb an Schulen und Universitäten als auch für die große Öffentlichkeit anzubieten. 25 Filme, davon 14 mit englischen Untertiteln, liegen jetzt bereits vor, darunter »Die Mörder sind unter uns«, »Der Dritte«, »Anton der Zauberer«, »Die Abenteuer des Werner Holt«, »Einer trage des anderen Last«. Pro Jahr sollen 40 Filme hinzukommen, nicht mehr nur auf Video, sondern auch in der neuen technischen Form der DVD. »Jakob der Lügner« wird voraussichtlich als erste DEFA-DVD auf den Markt kommen.
? Was ist das: DVD?
Eine »Digital Versatile Disk«, die auch in Deutschland über kurz oder lang die herkömmliche Videokassette ablösen wird. Das ist eine Art CD, auf der ein Film gleichzeitig in mehreren Sprachversionen angeboten werden kann, dazu Textmaterial, Hintergrundinformationen, Filmmusiken und so weiter Übrigens soll unser Engagement in den USA nicht zuletzt dazu beitragen, daß der dortige Erfolg auf Deutschland zurückwirkt. Manchmal muß man draußen erfolgreich sein, um drinnen wahrgenommen zu werden.
? Gibt es so etwas wie das Credo der Firma Icestorm?
Vielleicht folgendes: Wir wollen den Leuten beweisen, daß wir ein Team sind, das sein Geschäft versteht - und dabei anständig bleibt. Unsere Partner sollen Vertrauen zu uns haben. Auch die Partner, die wir in Osteuropa gewinnen wollen und die an unserem Netzwerk partizipieren sollen. Ohne Angst haben zu müssen, man wolle sie nur übers Ohr hauen.
Gespräch: Ralf Schenk
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