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Hat Rainer Rupp denn was Verwerfliches getan?

  • Doris Pumphrey
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer die Unterdrückung von Bürgerrechten in der Vergangenheit kritisiert, muß sich auch für ein Ende politischer Strafverfolgung und Ungleichbehandlung in der Gegenwart einsetzen. Und wer die Gleichbehandlung ehemaliger West- und Ostagenten kritisiert, muß sich auch der Konsequenz bewußt sein: Er muß entweder dafür eintreten, daß die Amnestie, die die Regierung Modrow 1990 den in der DDR verurteilten Westspionen erteilte, und das 1992 vom Bundestag verabschiedete Rehabilitierungsgesetz aufgehoben werden, oder er muß die Beschäftigung eines Rainer Rupp bei der PDS-Fraktion als Selbstverständlichkeit sehen. Wenn dessen Vergangenheit von einigen in der PDS als störend fürs Image betrachtet wird, wirft das doch Fragen über deren Kenntnis der Geschichte des Kalten Krieges auf. Jetzt zeigt sich, daß die Geschichtsdebatte in der PDS zu einseitig war, daß es ein Fehler war, wenn PDS-Mitglieder aus dem Westen nicht daraufdrängten, daß eine bundesdeutsche PDS zwei Standbeine haben muß - auch in der Geschichte.

Die Forderung nach Abschaffung aller Geheimdienste in der Zukunft ändert nicht die Realität der Vergangenheit. Wer in der PDS ein Problem mit Rupp hat, der möge auch örklär^ri,' was an seiner Tätigkeit'im NATO-Häüptquartier ' Verwerflich war Es ist schon bedenklich, wenn Vertreterinnen der PDS hinter die Erkenntnisse eines Oberlandesgerichts zurückfallen, das in seiner Urteilsbegründung Rupp bescheinigte, es sei ihm auch darum gegangen, »zum Abbau von Vorurteilen und Besorgnissen des Warschauer Paktes die Absichten der NATO transparent zu machen und damit zum Frieden beizutragen«.

Die PDS hat sich ausdrücklich und wiederholt mit den strafrechtlich verfolgten Kundschaftern der DDR solidarisiert. Sie tritt ein für eine Gleichbehandlung der Ost-West-Spionage und hat ein Spionagestraffreiheitsgesetz bereits öffentlich angekündigt. Ein bloßes Gesetz zur Beendigung der Strafverfolgung wäre 1999 allerdings überflüssig. Denn deren Ende ist nach rund 300 Verurteilungen und rund 800 Einstellungen der Verfahren gegen Bußgeld bis zu 200 000 Mark und zahlreichen Einstellungen wegen geringer Schuld absehbar Soweit ich weiß, ist Rainer Rupp der einzige (nunmehr im offenen Strafvollzug) verbliebene Gefangene. Eine Kundschafterin konnte die Haftstrafe wegen Krankheit noch nicht antreten. Was aber bleibt, sind die Folgen für

die Betroffenen: Verschuldung (es wurden Geld- und Verfallstrafen bis zu einer Million ausgesprochen), Pfändungen von Renten und Rentenanwartschaften, Verlust von Arbeitsplätzen und so weiter Wenn die PDS Straffreiheit für DDR-Kundschafter fordert, so ist dies zu berücksichtigen, zumal eindeutig ist, daß mit solchen Geldstrafen der Ruin vieler Betroffener beabsichtigt war Ein Gesetz, das dies ignoriert, widerspräche auch der PDS-Forderung nach Gleichbehandlung der Spionage-West und Spionage-Ost.

Für die BRD-Spione gilt die Verurteilung in der DDR wegen Spionage für die BRD als politische Verfolgung und wurde deshalb aufgehoben. Die per Gesetz festgelegten Rehabilitierungsmaßnahmen umfassen die Erstattung gezahlter Geldstrafen, der Kosten des Verfahrens, Ausgleichsleistungen für Nachteile, die durch Haft entstanden sind, Unterstützungsleistungen, Härteregelung, Beschädigtenversorgung und Haftentschädigung. Auch die neue Bundesregierung verweigert Angaben darüber, wieviele DDR-Bürger, die für die BRD spionierten, rehabilitiert und wie großzügig sie entschädigt wurden. Bekannt ist jedoch, daß allein von den Landge-

richten Dresden und Leipzig 153 Urteile wegen Spionage und Agententätigkeit aufgehoben wurden.

Ein oft zu hörendes Argument ist: DDR-Agenten hätten für einen Unrechtsstaat, BRD-Agenten für die Demokratie spioniert. Die Anklagen gegen erstere lauteten jedoch nie auf Spionage für einen »Unrechtsstaat«, sondern für eine »fremde Macht«. Den Straftatbestand »Geheimdienstliche Agententätigkeit für einen Unrechtsstaat« gibt es nicht, und Spionage für eine fremde Macht ist überall strafbar Außerdem wird DDR-Kundschaftern entgegengehalten, sie hätten doch gewußt, daß sie gegen BRD-Gesetze verstoßen. Vergessen wird dabei: Auch DDR-Bürger, die für die BRD spionierten und heute rehabilitiert sind, wußten, daß sie gegen DDR-Gesetze verstoßen, gegen Gesetze, die sich jeder Staat zu seinem Schutz gibt. Mit dem Anschluß erlosch jedoch der strafrechtliche Schutz der - alten - BRD gegen die »fremde Macht« DDR. Die Strafverfolgung der DDR-Spione war von Anfang an unrechtmäßig. Dieses Unrecht gilt es wiedergutzumachen - ohne Wenn und Aber.

Auch folgender Widerspruch muß bewußt werden: Die Strafverfolgung der Hoheitsträger der DDR konnte

nur massiv und ungehindert durchgeführt werden, weil sie auf dem weithin (wieder) akzeptierten Revanchismus der bundesdeutschen Gesellschaft basiert. Die völkerrechtliche Anerkennung der DDR, ihre Mitgliedschaft in der UNO, ihre Anerkennung durch die BRD im Grundlagenvertrag werden nachträglich zunichte gemacht, indem ihre Hoheitsträger vor bundesdeutsche Gerichte gestellt werden. Die DDR wird endlich wieder »zurück ins Reich« geholt. Gegen diesen Revanchismus und den Alleinvertretungsanspruch der BRD haben BRD-Linke und Demokraten früher zäh gekämpft. Um so mehr erstaunt ihr heutiges Schweigen, ja ihre Akzeptanz und Kapitulation.

Und noch ein Widerspruch: Einerseits gibt es eine nachträgliche Nichtanerkennung der DDR, andererseits wird wegen Spionage für eine »fremde Macht« strafrechtlich verfolgt, die DDR wird also doch als eigenständiger Staat betrachtet. Und selbst in diesem Widerspruch ist die bundesdeutsche Politik noch unlogisch: Sie sieht sich als Rechtsnachfolgerin der DDR und beharrt auf Übergabe der Akten der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung), die sich die CIA beschaffte. Wenn sie

aber meint, die Akten stünden ihr rechtmäßig zu, muß sie sich auch um die HVA-Spione kümmern, muß sie auch die Fürsorgepflicht, die die DDR - wie jeder andere Staat - gegenüber ihren Spionen hatte, übernehmen und sich auch für die in den USA zu langen Haftstrafen verurteilten HVA-Spione einsetzen.

Geht's um Recht, bedient sich die BRD wie in einem Gemischtwarenladen. Nimmt die PDS Bürgerrechte und Völkerrecht ernst, darf sie genau dies nicht tun. Sie verweist zu Recht darauf, daß das Opportunitätsprinzip bei Bürgerrechten zum Untergang der DDR wesentlich beitrug. Die Aufarbeitung der Geschichte wird aber unglaubwürdig, wenn sich die PDS dem Opportunitätsprinzip der heutigen Gesellschaft anpaßt. Wenn sie konsequent Lehren aus der eigenen Geschichte zieht, darf die PDS die heutige Selektion bei Bürgerrechten und Recht nicht zulassen. Es geht nicht an, mangelnden Mut von gestern zu kritisieren, wenn man heute keinen aufbringen will. Für Gerechtigkeit einzutreten war noch nie bequem. Man kann es nicht, wenn man nicht auch bereit ist, heftige Reaktionen hinzunehmen. Jene, die in der PDS nicht einmal bereit sind, dieses Risiko einzugehen, sollten einmal daran denken, was Linke und Sozialisten in anderen Ländern oder zu anderen Zeiten wegen ihres Eintretens aushalten mußten und müssen.

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