Kissinger mochte Brandt und Bahr nicht
US-Protokolle einer amerikanisch-deutschen Haßliebe Diplomatie Von Jim Anderson, dpa
Bisher geheime Protokolle der hochrangigen Treffen des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger mit Regierungsvertretern anderer Länder wurden von den National Security Archives (NSA) aufgespürt, einer regierungsunabhängigen Forschungsgruppe der George Washington University Die Dokumente lassen eine bislang kaum bekannte Haßliebe in den deutsch-amerikanischen Beziehungen in der Ära von Bundeskanzler Willy Brandt erkennen. Besonders mißtrauisch äußert sich Henry Kissinger darin zu dem »Ostpolitiker« Brandts, Egon Bahr
Die meisten Abschriften der Gespräche stammen aus den Jahren 1972 bis 1975, als der Kalte Krieg Ermüdungserscheinungen zeigte und die USA wie auch Deutschland auf diplomatische Beziehungen mit China zusteuerten. Unter Bundeskanzler Willy Brandt si^nd die deutsche Außenpolitik im Zeichen der Öffnung, der neuen »Ostpolitik«.
Kissinger verfolgte die Politik Brandts mit äußerstem Argwohn. »Es ist sehr gefährlich, die deutsche Kurzsichtigkeit zu unterschätzen«, sagte er 1973 dem chinesischen Regierungschef Tschou En-lai. »Wir fürchten uns nicht vor einem wiedervereinten Deutschland, aber das kann erst geschehen, wenn die Sowjetmacht in Europa geschwächt ist«, setzte er dem großen Vorsitzenden Mao 1975 über die deutsche Zukunft auseinander Mao und Kissinger waren sich darin einig, daß sie eine konservative, christdemokratische Regierung in Westdeutschland der unbekannten und schwer einzuschätzenden Führung Brandts vorziehen würden.
Die vielschichtigen Einschätzungen und Gefühle des deutschstämmigen Kissinger kristallisierten sich aber am deutlichsten in seiner Haltung zu Egon Bahr, der für Willy Brandt das Konzept des »Wandels durch Annäherung« vorantrieb. Einerseits, so erzählte er seinen chinesischen Gesprächspartnern, sei Bahr für ihn ein »Kommunikationskanal« zu Brandt. Zum anderen aber müsse man wachsam bleiben, meinte Kissinger am 4. August 1972 im Gespräch mit dem chinesischen UN-Botschafter- »Wir wissen aus gewisser Quelle, daß Bahr - das ist der Name des Mannes - sehr enge Beziehungen zur Sowjetunion hat, und er über nahezu jede Konversation seinem sowjetischen Kontakt berichtet.« Zu dem heiklen Thema westdeutscher Beziehungen zu China sollte die Kommunikation nicht über Bahr laufen, »weil Bahr es sofort der Sowjetunion meldet«.
Einer von Kissingers engsten Mitarbeitern, der heute für die Denkfabrik Brookings Institution tätige Helmut Sonnenfeldt, erinnert sich an das allgemeine Mißtrauen auf amerikanischer Seite, wenn es um Bahr ging. Nach jenem kategorischen Kissinger-Urteil von 1972 sei die Beziehung mit Egon Bahr - und damit zu der Brandt-Regierung - kühler geworden. Bahr sei nach Washington gekommen, um Kissinger die Politik Brandts zu erläutern, und habe das Gespräch mit ihnen - Kissinger und Sonnenfeldt waren Flüchtlinge aus Deutschland und deutschsprachig - mit der auf Deutsch geäußerten Bemerkung begonnen, daß die bilateralen Beziehungen nun »unbequemer« würden.
Bahr war von 1969 bis 1972 Staatssekretär im Bundeskanzleramt. 1970 legte er, die Grundlagen für den Vertrag mit der UdSSR. Von 1972 bis 1976 war er Minister für besondere Aufgaben.
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