- Politik
- Harry Kupfer inszenierte »Orpheus in der Unterwelt« in der Komischen Oper
Götter sind eben auch nur Menschen
Welch ein Sittenverfall. Daseinfache Volk rebelliert gegen den Lebenswandel der Oberen
Foto: Benjamin
Der erste Monat des neuen Jahres zeigt Berlins Komische Oper mit gleich zwei Premieren an der hauptstädtischen musiktheatralischen Front ganz vorn: Nach »Ariadne auf Naxos« zum Strauss-Jahr folgte Offenbachs beliebter Operettenklassiker »Orpheus in der Unterwelt«. Der Chefregisseur der Komischen Oper, Harry Kupfer, hat hier die naheliegende Gelegenheit genutzt, das Haus an der Behrenstraße auf besondere Weise schmunzelnd ins Spiel zu bringen: Die Offenbach-Operette, in der bekanntlich aus Glucks Oper »Orpheus und Eurydike« musikalisch zitiert wird, spielt nun in der Berliner Behrenstraße im szenischen Grundbau von Kupfers Gluck-Inszenierung. Die, einst heftig angegriffen, inzwischen international höchst erfolgreich ist und kürzlich zum 100 Male zu erleben war Wieder erkennt sich das Publikum in den üppigen Bühnenbildern Hans Schavernochs in den riesigen Spiegelwänden. Dieses Zitat macht auch insofern Sinn, als Offenbach im Frankreich des 19 Jahrhunderts seinen Zeitgenossen den Spiegel vorhielt, das moralisch verkommene zweite Kaiserreich von Napoleon III. attackierte.
Und auch die Besetzung hat Parallelen zu Kupfers Gluck-Inszenierung. Es spielen und singen Mitglieder jenes Ensembles, das damals mit von der Partie war Jochen Kowalski als sagenhafter Sänger
Orpheus mutiert hier zum geigenspielenden Medienstar Gabriele Fontana ist Eurydike, die Gattin.
Kupfer macht in farbig üppig aufgemotztem Interieur sogleich die zündende, lyrisch schmelzende Offenbach-Ouvertüre zum Handlungsschlüssel. In zwei ge-
genüberliegenden Proszenieumslogen vergnügen sich Star Orpheus und Gattin Eurydike. Er mit studentischem Frischblut. Sie mit einem arkadischen Muskelprotz. Auf der Bühne mimen sie zwischendurch das liebevolle Ehepaar Denn da ist die »öffentliche Meinung« (in herr-
licher Studie die Offenbach-erfahrene Anny Schlemm, seit 1949 auf der Berliner Felsenstein-Bühne zu Hause), die für Moral und Anstand sorgt. Dann geht's von der Erde in den Himmel. Hier zeigt sich das Göttervolk dem lasterhaften Erdenvolk durchaus ebenbürtig. Allen voran Chef Jupiter Komödiantisch vergnügt gibt Günter Neumann ihn als glatzköpfigen, amüsierwütigen Göttervater
Schließlich geht es ab in die Hölle, ins Reich Plutos, des Herrn der Unterwelt, der sich die schöne Eurydike mit Hilfe eines Schlangenbisses gekapert hat. Das ruft die öffentliche Meinung auf den Plan. Die sorgt für Rabatz. Es gibt Demos. Orpheus hat die verstorbene Gattin zu beklagen, er hat sie wieder zur Erde zurückzuholen. Und der Brave, der so froh
ist, sie endlich los zu sein, muß sich fügen. Er muß hinauf in die verlotterte Götterwelt. Auch dort muß der Schein der Moral gewahrt bleiben. Eurydike, für die sich Jupiter sogleich lebhaft interessiert und die sich in der Unterwelt inzwischen herzlich langweilt, wird Orpheus zurückgegeben. Er darf sich nur nicht umdrehen. Natürlich tut er's doch. Jupiter, der seine aufmüpfigen Götter nur durch das Versprechen eines Ausfluges in die Unterwelt wieder zur Räson gebracht hat, macht den Höllentrip ins Reich Plutos für sich und die Seinen zum prächtigen Erlebnisurlaub. In der Gestalt einer verliebt summenden Fliege versucht er sich Eurydike zu nähern. Die wird von John Styx, einstens Prinz von Arkadien, bewacht. Allerdings nur unzureichend, denn der Wächter hat dem Wasser des Vergessens so reichlich zugesprochen, daß er seinen Pflichten nicht nachkommen kann. Werner Enders, Senior der alten Felsensteingarde, erntete für seinen herrlich grotesken, tatterigen und unnachahmlich melancholischen Gesang »Als ich einst Prinz war in Arkadien« den stärksten Szenenapplaus des Abends. Auch Roger Smeets als Pluto wußte zu gefallen. Neben den bewährten Namen waren auch neue, vielversprechende wie Hanna Döra Sturludöttir als Venus zu finden.
Die vom Fernsehen live übertragene Premiere wurde zu einem heiter-komödiantischen Abend, bunt ausgestattet von Reinhard Heinrich. Mit spritzigen, von Roland Giertz choreographierten Cancan-Finali, mit verspielten Gags. Getragen wurde das Spektakel vom genauen und schwungvollem Spiel des Orchesters unter Tetsuro Ban und dem eindrucksvollem Chorgesang (Peter Wodner). Allerdings vermißte man doch den im Hause Felsensteins und Kupfers gewohnten satirischen Biß in Sachen Offenbach.
Es gab viel Applaus, jedoch auch einige Buh-Rufe.
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