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Falken oder Tauben - Wohin treibt die PKK?

Kurden Öcalans jüngerer Bruder Osman könnte neuer Parteichef werden Von Reimar Paul

  • Lesedauer: 4 Min.

-PKK-Besetzer der kenianischen Botschaft in-Bonn glauben weiter an den Sieg ihrer Sache Foto; dpa

Nach der Verhaftung ihres Großen Vorsitzenden steht die Kurdische Arbeiterpartei vor einem Richtungsstreit- oder einem Neuanfang.

Setzen sich in der PKK jetzt die Falken oder die Tauben durch?« Das fragen seit Dienstag nahezu alle Fernsehreporter, die mit ihren Übertragungswagen vor den von Kurden besetzten diplomatischen Vertretungen Position bezogen, zum Abschluß der Live-Schaltungen ihre Zuschauer und sich selbst. Eine Antwort haben die Journalisten in der Regel nicht parat. Und sie ist auch schwierig zu geben. Denn die Strukturen und Kommandoebenen der Partiya Karkeren Kurdistan, der Arbeiterpartei Kurdistans, sind für Außenstehende nahezu undurchschaubar.

Die PKK besteht schon seit mehr als 20 Jahren. Ziel der vom Politikstudenten Abdullah Öcalan und einigen Freunden am 27. November 1978 gegründeten Organisation war die Errichtung eines unabhängigen sozialistischen Kurden-Staates im traditionellen Siedlungsgebiet der Kurden, das außer Südostanatolien auch Teile des Iraks, Irans und Syriens umfaßt. Um dieses Ziel zu erreichen, sei der Kampf sowohl gegen die türkischen Kolonialisten als auch gegen kurdische »Kollaborateure« nötig, proklamierte die PKK. Die Partei ließ ihren Worten schon bald Taten folgen und startete in der Nähe der Seenplatte von Elazig erste bewaffnete Aktionen, die jedoch eher propagandistischen Charakter hatten. Allerdings gelang es der PKK bereits damals, eine Mitgliederbasis auch unter Bauern, Arbeitern und Tagelöhnern aufzubauen. ' Die verschärfte Repression in der Türkei besonders nach dem Militärputsch von 1980 zwang die PKK gleichwohl zum Rückzug. Etliche Kader und Aktivisten wurden verhaftet oder ermordet. Öcalan - von der türkischen Armeeführung und ihren Statthaltern mittlerweile zum »Staatsfeind Nummer 1« deklariert - und andere Parteiführer wichen zunächst in den Libanon aus, später gingen sie nach Damaskus. In dem von Syrien kontrollierten Bekaa-Tal im Libanon entstand ein großes Trainingscamp der PKK.

Eine neue Phase des bewaffneten Kampfes leitete die Organisation am 15. August 1984 mit einer Serie von Anschlägen auf türkische Polizeistationen und der kurzzeitigen Besetzung der Ortschaften Eruh und Semdinli ein. Dieses Datum markiert seither den offiziellen Beginn des türkisch-kurdischen Krieges. Die Entschlossenheit und Militanz der PKK reizte besonders kurdische Jugendliche, der Zulauf an neuen Kämpferinnen und

Kämpfern war ungeachtet der Opfer, die der Konflikt forderte, enorm. Die Politik der verbrannten Erde der türkischen Armeeführung und die unterschiedlose Kriminalisierung jeglicher kurdischer Autonomiebestrebungen taten ein übriges, um der PKK neue Leute zuzutreiben. Die Partei gründete einen bewaffneten Arm, die Volksbefreiungsarmee (ARGK), und für das internationale diplomatische Terrain die Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK).

Über die Mitgliederzahlen der Partei und ihrer diversen Front- und Massenorganisationen in der Türkei und im Ausland schweigt sich die PKK ebenso beharrlich aus wie über die Zusammensetzung des Zentralkomitees, dessen Angehörige teilweise in der Türkei und in Syrien leben, sich zum Teil aber auch als politische Flüchtlinge in westeuropäischen Hauptstädten aufhalten und zu-

meist nur telefonisch, per Fax oder Computer miteinander kommunizieren können.

Ihre Organisation sei schließlich keine legale Partei, sondern »eine verbotene Bewegung, die sich im Krieg befindet«, rechtfertigt die PKK-Europasprecherin Mesgin Sen die Abschottung. Sie findet es deshalb »ein bißchen unfair, die PKK mit anderen Parteien zu vergleichen«. Eine ähnliche Praxis war im übrigen von anderen Befreiungsorganisationen wie dem ANC, der PLO oder der salvadorianischen Ex-Guerilla FMLN bekannt.

Richtig sei, so Mesgin Sen weiter, »daß Abdullah Öcalan eine sehr wichtige, starke Figur in der PKK war«. Das scheint noch untertrieben, denn der »Onkel« (Apo) spielte in der PKK die alles überragende Rolle. Sein Wort war Befehl, ideologische Wandlungen des Generalsekretärs machte die Partei ebenso ergeben

mit wie diverse politische und taktische Schwenks.

Noch ist Öcalan Generalsekretär der Kurdischen Arbeiterpartei. Das Zentralkomitee will dem Vernehmen nach aber noch in dieser Woche einen neuen Vorsitzenden bestimmen. Im kurdischen Sender MED-TV, dessen Programme in England produziert und von Belgien aus europaweit ausgestrahlt werden, kommt seit vergangenen Dienstag vor allem Abdullahs jüngerer Bruder Osman zu Wort. Ein deutlicher Hinweis darauf, daß er der neue PKK-Chef werden könnte.

In kurdischen Exilkreiseri wird jedoch von Vorbehalten gesprochen, die insbesondere aus Kreisen der Guerillakommandanten aus der Südosttürkei und dem Nordirak gegen Osman Öcalan vorgebracht würden. Er habe sich die vergangenen zehn Jahre in Damaskus aufgehalten und könne nun nicht den Anspruch erheben, die noch verbliebenen Kämpfer zu kommandieren. Das gleiche würde allerdings auch für Abdullah Öcalan gelten, zudem scheint der Einfluß der militärischen Kommandeure nach den Niederlagen der vergangenen Monate geschwächt: Kenner schätzen, daß derzeit noch zwischen drei- und sechstausend

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