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  • Politik
  • »Die grüne Tür oder Medea bleibt« von Gerlind Reinshagen am Staatsschauspiel Dresden uraufgeführt

Zwischen Anpassung und Selbstbestimmung

  • Klaus Pfützner
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine gewaltige Neon-Spirale senkt sich aus dem Bühnenhimmel, unter dem die Zuschauer sitzen. Irgendwo verliert sie sich im Unendlichen. Da oben ist auch eine grüne Tür, eine lange Treppe führt hinauf. Geldspielautomaten hängen in der Luft oder stehn auf der Bühne. Gelegentlich klimpern Münzen heraus. Ein junges Paar schwebt hoch in den siebten Himmel wie auf dem fliegenden Teppich der Märchen, sie gestehn sich Liebe, und ein wunderbarer Text von Gerlind Reinshagen (73) gehört dazu.

Die Autorin ist Berlinerin und durch zahlreiche Romane, Hörspiele und Theaterstücke bekannt, in West mehr als in Ost. Sie hat bedeutende Literaturpreise empfangen, und ihre Stücke kamen an großen Bühnen heraus. Nun ist sie in Dresden angekommen und wird sehr glücklich sein: Für sie haben Irmgard Lange (Regie) und Volker Walther (Bühne) den Bühnenhimmel entdeckt, die dritte Dimension; sogar eine vierte: die Glaubwürdigkeit theatralischer Handlung.

Denn »Die Grüne Tür oder Medea bleibt« entzieht sich einfachen Wahrheiten. Das Stück spielt heute und hier, doch

Medea, die selbstbewußte, stolze, Gerechtigkeit einfordernde Frau der griechischen Mythologie, stand beim Schreiben dabei; dazu ein wacher Sinn der Autorin für soziale Gerechtigkeit, für die Brüchigkeit partnerschaftlicher Beziehungen, dann, wenn dem Mann die Arbeit und der Frau der Mann fehlt.

Düstere Zukunftsprophetien für unsere Zivilisation, die wir von Kassandra kennen, kommen aus einer Mülltonne und schrecken auf. Und ein Chor skandiert wie im attischen Drama; aber es sind Zeitgenossen, die an den Geldautomaten ihr Glück versuchen, die der Welt ihren Lauf lassen und im Stimmengewirr (einer ausgezeichneten Interpretation) die genügsame Gegenwelt zu Medea darstellen. Nur die Kinder bleiben leben.

Es ist nicht Medea, sondern Janna, eine Frau von heute, mit der die Dichterin die Frage durchspielt: Was geschähe heute einer Medea mit ihrem absoluten Anspruch auf Selbstverwirklichung und Liebe? Jannas Mann, Wolf, ist arbeitslos, gedemütigt. Er hegt die Kinder, denn Jana will Karriere machen. Und sie nutzt sie. Dem Jammerlappen Mann kehrt sie den Rücken, zu stolz, zu schön, um ungeliebt zu bleiben. Oben winkt die Grüne Tür, da haust Berthold, ein Student mit sozialem Engagement.

Momente des Glücks - sind sie es? Die Kinder sind irgendwo dazwischen, Mann und Student verweigern ihre weitere Hege. Als Jannas Mann wieder Arbeit hat, entpuppt er sich als Macho. Also, Janna, wie weiter?

So recht erfährt man es nicht. Das Stück ist wie ein Konstrukt, ist montiertes Leben, aus einer Idee geboren und in Lyrik und poetische Bilder getaucht. Hier ist, um Lessing zu zitieren, der Autorin »etwas Menschliches widerfahren«. Der Ausbruch der Frau aus ihren Verhältnissen hat Größe, er rührt auf und entbehrt doch nicht des Abstrakten - wenn nicht die Schauspieler wären.

Sie sind die Pusselfreaks auf der Suche nach dem realen menschlichen Vorgang in einem geistig-philosophisch anspruchsvollen Raum, sie »füllen aus«, und es gelingt fast jedem: Ahmad Mesgarha (Wolf), Philipp Otto (Student Berthold) sowie Antje Widdra (Paula)), Stefanie Kampe (Anne). Großartig Christine Hoppe, sie dichtet ihre Janna gleichsam weiter und überzeugte mich gerade dort, wo Charme und Intelligenz der Powerfrau in den Konflikt kommen. .

Verführerisch seriös Siegfried Worch (als Arzt) mit seinem Angebot eines Zuhause für Janna. Sie tanzen davon, man ahnt etwas von einem beschwerlichen,

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