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  • Politik
  • Die Hypothese des Eberhard Zangger

Wo lag Atlantis?

  • Armin Jahne
  • Lesedauer: 4 Min.

Das sagenhafte Atlantis, groß, mächtig, stolz und in einer gewaltigen Katastrophe untergegangen, hat man an vielen Stellen der Erde gesucht: westlich von Gibraltar, im Indischen Ozean oder in der Sahara. Die einen identifizierten es mit dem alten Tartessos in Südspanien, andere brachten es mit Spitzbergen, Skandinavien oder Großbritannien in Verbindung. In Deutschlands »Drittem Reich« dachte man an Grönland und machte dort gleich noch den Ursprung der »arischen Rasse« fest. Auch die Deutsche Bucht mit Helgoland wurde als möglicher Ort des versunkenen Inselstaates in Betracht gezogen.

Der Streit, ob Atlantis überhaupt existiert habe und wo es zu lokalisieren sei, begann schon im griechischen Altertum und ist bis heute nicht abgeschlossen. Er geht auf Piaton zurück, der in seinen Dialogtexten »Timaios« und »Kritias« über Atlantis berichtet. Der Philosoph erhielt

seine Kenntnisse aus den Schriften So-Ions, des athenischen Staatsmannes, und diesem wiederum hatten ägyptische Priester während seines Besuches im Nilland von Atlantis erzählt. Atlantis, so Piatons Schilderung, sei im Atlantik westlich der »Säulen des Herkules« (Gibraltar) eine große Insel mit wohlorganisierter Staatsordnung gewesen, mit hochentwickelter Architektur und Wasserbaukunst, reich an Metallen und sonstigen Gütern, habe einen Krieg gegen die Griechen verloren und sei danach binnen eines Tages im Zuge einer Naturkatastrophe im Meer versunken. Es war schon üblich geworden, Atlantis mit der Kykladeninsel Thera/Santorin gleichzusetzen, trotz der Zweifel, die blieben. Die Ausgrabungsergebnisse des griechischen Archäologen Spyridon Marinatos sprachen dafür, daß hier, wo um 1630 oder 1500 v u. Z. eine beeindruckende bronzezeitliche Kultur durch einen Vulkanausbruch ihr Ende fand, der Ursprung für die Atlantis-Sage gefunden sei.

Seit sieben Jahren jedoch widerspricht der Geoarchäologe Eberhard Zangger ve-

Platon (427 - 347 v. u. Z.) Foto: ND/Archiv

hement der Thera / Santorin-Atlantis-Hypothese. Nicht die Kykladeninsel, sondern Troja sei das versunkene Atlantis, behauptet er : Am vergangenen Mittwochabend verteidigte er diese seine kühne These auch im WDR bei »Nacht-Kultur mit Willemsen«.

Zangger negiert die weithin gängige Auffassung, daß eine Naturkatastrophe riesigen Ausmaßes im Ägäisraum sowohl die bronzezeitliche Hafenstadt auf Thera / Santorin als auch die minoische Kultur auf Kreta vernichtet habe. Zwar lasse sich ein Vulkanausbruch auf der Insel nicht leugnen, doch sei seine Kraft geringer als bisher angenommen gewesen. Auch sei dort kein Vulkankegel in sich zusammengebrochen, d. h. der für Thera / Santorin typische, durch die See ausgefüllte Vulkankessel sei 23 000 Jahre früher entstanden. Folglich könnte es weder feuerbringende Ascheablagerungen auf Kreta noch gigantische Wellen gegeben haben, die mit zerstörerischer Wucht die minoischen Paläste an dessen Nordküste unter sich begruben. Das führt Zangger zu der grundsätzlichen Frage, ob »Naturkatastrophen nach heutigem Erkenntnisstand tatsächlich Auslöser von tiefgreifenden Einschnitten in die Kulturgeschichte werden konnten«. Er verneint und verlangt nach neuen Sichtweisen und Methoden, um die gegen 1200 v u.Z. nicht zu leugnenden Umbrüche in der östlichen Mittelmeerwelt zu erklären, als in Griechenland die mykenische Palastkultur, in Kleinasien Troja Vlla und das Hethiterreich verschwanden.

Woraus nun aber schließt Zangger, daß Troja das sagenhafte Atlantis gewe-

sen sei? Acht geographisch-topographische Merkmale zählt er auf. Nach Größe, Lage an einer Wasserstraße (Dardanellen), Säulen des Herakles (Thrakischer Bosporus oder Trojas Hafensäulen), Inselcharakter (durch Trojas Hafen- und Wasserbauten), Landschaft, Quellen, Wind und Wälder muß Troja Atlantis gewesen sein, meint Zangger Seine Hypothese ist kühn und vorläufig unbewiesen. Zangger fordert die archäologische Forschung auf, philhellenische, europazentristische Traditionen hinter sich zu lassen, sich stärker der archäologischen Erschließung Kleinasiens anzunehmen, dabei konsequenter siedlungsräumliche Zusammenhänge, vergangene Infrastrukturen, kurz: geoarchäologische Aspekte in ihr Blickfeld zu rücken und eine größere, interdisziplinäre Methodenvielfalt zu entwickeln. Besondere Bedeutung mißt Zangger tiefreichenden Geländeerkundungen mit Hilfe von Satelliten, Rotary-Bohrungen und Magnetometermessungen bei. Hig-Tech soll jetzt auch die archäologische Forschung vor Ort befördern, die den Beweis für Zanggers Hypothese erbringen soll...

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