- Politik
- Doppelausstellung zeigt den Januskopf Weimars
Dichter und Denker, Richter und Henker
Buchenwald ist etwa neun Kilometer 7 “von Weimars 1 Innenstadt entfernt: Manchem Weimarer genügte diese Distanz nach 1945,
um zu sagen, vom Konzentrationslager habe man nichts gewußt. Ebenso groß war die Entfernung vom Frauenplan zu einem von Goethe geschätzten Ort, dem Ettersberg mit seinen Schneisen und Waldwegen. Im Schloß Ettersburg, dem Musenhof der Herzogin Anna-Amalia, gab Goethe in Liebhaber-Aufführungen seiner »Iphigenie« den Orest. Das Schloß liegt nur wenige hundert Meter Luftlinie vom Stacheldraht des Lagers entfernt, das nur aufgrund dieser Nähe nicht nach dem Ettersberg benannt wurde, sondern den Namen »Buchenwald« bekam.
»Das war so!«, Volkhard Knigge, Leiter der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, muß sich gegen den Vorwurf, er »buchenwaldisiere«' Weimar, zur Wehr setzen. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Weimarer Klassik enstand eine Doppelausstellung, die am Samstag eröffnet wurde: Im Schillermuseum bekommt der Massenmord ein Gesicht, in Buchenwald sind neben Häftlingszeichnungen »Goetheblicke auf Weimar und Thüringen« zu sehen.
Nachdenken wird provoziert: Im Schillermuseum die Büste eines Mannes, den man auf den ersten Blick nicht einordnen kann: Ludwig Alfred Post, Jude, Bankan-
gestellter in Wien. Eine Treppe hoher Fotografien. 440 Menschen wie du und ich. Juden, Polen. 1939 im Wiener Praterstadion zusammengetrieben, vermessen, re-
. J . J gistrJi i erJ. tr Mjnche lachen in die Kamera, hinter aer'nicht die SS, sondern ein'An-
* ““ge'stöHteF r *Hes Naturhistorischen- ? Museums stand. Sie waren menschliches Material für eine anthropologische Untersuchung. Josef Wastl, Leiter der Anthropologie-Abteilung, suchte Rasse-Merkmale. Und Ludwig Alfred Post schien ihm der Jude schlechthin zu sein. Er ließ von ihm »anthropometrische« Aufnahmen machen, Haarproben und eine Maske abnehmen und schließlich die Büste anfertigen. Die Masken von 19 weiteren Wienern hängen im Schillermuseum. Von den anderen gibt es nur noch Körpermaße und Daten. Und die Fotografien, darunter die Namen, der Geburtstag, der Sterbetag. Zum Beispiel: im September 1939 Internierung in Wien, im Oktober Transport nach Buchenwald, ermordet wenige Tage nach der Ankunft. Als in Wien die Maske Ludwig Alfred Posts modelliert wird, ist der schon tot. »Stärke beim Morgenappell: 12816.« »Stärke beim Abendappell: 12806.«
Janusköpfiges Weimar Mancher wünscht sich Klassik pur, aber das entspräche nicht der Wirklichkeit. Auf Anregung von Kulturstadt-Manager Bernd Kauffmann entstand die »Zeitschneise« - eine Verbindung zwischen Schloß Ettersburg und dem Konzentrationslager Ein Weg, den Goethe oft beschritt. An dessen Ende ein Baum, in dessen Rinde sich Goethe und Charlotte von Stein verewigten. Bei Eckermann war es eine Buche, für die KZ-Häftlinge war es die »Goe-
the-Eiche«. Legende? Oder gab es diesen Ort wirklich inmitten des Grauens? Einen Baum, der unter Naturschutz stand, den die Nazis als Inbegriff des Deutschen nicht fällen ließen und der für die Gefangenen Symbol der Hoffnung war?
Gedenkstätten-Leiter Volkhard Knigge wünscht sich Hellsichtigkeit dafür, wie leichtfertig das klassische Erbe verspielt wurde. In der Desinfektionskammer von Buchenwald sind 46 Goethe-Zeichnungen ausgestellt. Rasche Striche, nur manchmal noch verstärkte der Wanderer und Entdecker den Eindruck im Nachhinein mit Farbe, so als wolle er sich den Augenblick noch einmal vergegenwärtigen. Nichts anderes als die Freiheit, die Goethe beim Anblick »Dampfender Täler bei Ilmenau« oder der »Leuchten-
den Nachtwolke« über seinem Gartenhaus empfand, sehnten die Häftlinge herbei. Jorge Semprun wäre fast erschossen worden, als er vom vorgeschriebenen Weg abwich, um jene »Goethe-Eiche« zu suchen. Nur sein Verweis auf Goethe rettete ihm das Leben und brachte ihm einen Vortrag des Hauptsturmführers über die nationalsozialistische Achtung vor der deutschen Kulturtradition ein.
»Goethe hat nichts mit Hitler zu tun. Aber Hitler eine Menge mit Goethe«, sagt Volkhard Knigge. Ob es die Eiche gab oder nicht, einerlei. Es gibt »Das letzte Gesicht«, jene von Bruno Apitz in Holz geschnitzte Totenmaske, die sich heute im Deutschen Historischen Museum in Berlin befindet. Es soll ein Stück von jener Goethe-Eiche sein, die die Amerikaner
bei einem Bombenangriff 1944 zerstörten. Und es gibt die Kopien der Möbel aus Schillers Arbeitszimmer, die KZ-Häftlinge 1943 fertigen mußten, weil die Originale vor den Kriegsgefahren in Sicherheit gebracht worden waren: Spinett, Schreibtisch, Schrank. Auch sie gehören zur Ausstellung in Buchenwald.
Die Worte des ehemaligen Buchenwald-Gefangenen Ivan Ivanji stehen für den besonderen Geist dieses Ortes: »Die Legende ist wahrhaftiger als jeder Bericht. Die Dichtung lügt seltener als die Geschichtsschreibung. Der Traum ist wirklicher als die Realität.«
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