- Politik
- Ben Becker in Döblins »Berlin Alexanderplatz« am Maxim Gorki Theater
Wenn Krieg ist...
Regine Zimmermann und Ben Becker in Oliver Reeses Dramatisierung von Döblins Roman »Berlin Alexanderplatz«' Biberkopf-ein Woyzeck als Don Quichote
Foto: Benjamin
Der ehemalige Transportarbeiter Franz Biberkopf will anständig bleiben. Aber es gelingt ihm nicht. 1928 kommt er in den Berliner Osten zurück, nachdem er wegen Totschlags eine Strafe im Zuchthaus Tegel abgesessen hatte. Alsbald sieht er sich in den kriminellen Untergrund der Stadt verwickelt. Der »naive kleine Mann«, der vom Leben mehr verlangte, als das Butterbrot, hat scheint es - keine Chance.
Als Alfred Döblins Großstadt-Roman »Berlin Alexanderplatz« in einer Bearbeitung von Bärbel Jaksch und Heiner Maaß und in der Regie von Straßburger/ Hering 1981 an der Berliner Volksbühne zur Aufführung kam, wurde dem Zuschauer Ausdauer für viereinhalb Stunden abverlangt. Das ist jetzt am Maxim Gorki Theater nicht anders. Texter Oliver Reese, der die Stückfassung von damals zu kennen scheint, braucht die nämliche Zeit, um des Biberkopfs exemplarisches Schicksal vorzuführen. Diesmal allerdings kein schwerfälliger Franz, kein gemächlicher Rhythmus.
Regisseur Uwe Eric Laufenberg legt a priori ein zügiges Tempo vor Wozu der turbulente Auftakt im grünverkachelten S- und U-Bahnhof Alexanderplatz (Bühnenbild Christoph Schubiger) bestens geeignet ist. Offenbar wurde die noch immer hektische Atmosphäre vor Ort gründlich studiert, so daß Leut' und Milieu der späten 20er Jahre in beachtlicher Authentizität lebendig werden.
Überhaupt gelingt es Laufenberg an diesem Abend, ein Spiel von schöner realistischer Überzeugungskraft in Gang zu bringen. Er übernimmt die eigenwillige literarische Montage-Technik Döblins, die Verknüpfung der Fabel mit Nachrichten, Schlagertexten, Reklameslogans und etwas Mythologie. Kurze, sich jagende szenische Sequenzen wechseln mit minutiös gearbeiteten chorischen Kommentaren. Da wird, als Biberkopf Probleme bei der Liebe hat, mit Zeigestock sarkastisch die Physiologie des Geschlechtsaktes erläutert. Als Franz sich besäuft, tanzen die Schnaps- und die Biergläser fröhlich, dralle Weiber, die er küssend stemmt. Zwei nackte Engel salbadern naseweis, und auch der Tod mischt mit. Biberkopfs Lebenskampf ist keck ironisch in eine aufgekratzte poetische Spielwelt gestellt, ohne daß die Vorgänge an realer Dimension verlieren.
Den Biberkopf gibt Ben Becker Das wird zum Ereignis. Mit faszinierendem körperlichen Einsatz, gestischer Virtualität und sprecherischer Präzision spielt dieser hinreißend elementare Schauspieler einen vitalen, leidenschaftlichen Franz von anrührender Menschlichkeit. Verloren steht er nach seiner Haftentlassung inmitten der vorbeihastenden fremden Leute. Bei Minna (Ruth Reinecke), der Schwester der Frau, die er tötete, sucht er Geborgenheit und Liebe. Illusion. Dieser rebellisch-robuste, lebenskräftige Kerl von einfältig-gutgläubigem Gemüt steckt immerzu irgendwie im Dilemma. Ein hilfloser Woyzeck als unverzagter Don Quichotte. Ein rauhbeiniger Berliner
mit Schnodder-Schnauze und Herz. Innig liebt er seine Mieze, die er natürlich auch mal verhaut und mit Eva (Karina Fallenstein) betrügt. Verstört wartet er, als sie nicht heimkehrt.
Die Mieze ist bei der glänzend aufgelegten Regine Zimmermann ein liebes Luder von himmlischer Einfalt. Und den Reinhold, der die Dirne umbringt, gibt
Frank Seppeier frappierend als einen leicht stotternden Lümmel, der auf seine miese Tour durchs Leben zu kommen sucht. Dem Franz drängt er seine abgelegten Geliebten auf, so daß der ihn für einen Freund hält, aber beim schief gehenden nächtlichen Diebstahl für Bandenchef Pums (Eckhart Strehle) stößt er Franz schon mal aus dem Auto, so daß der einen Arm verliert. Und Biberkopf, dieser »Ochse«, läßt sich wieder mit ihm ein. Was seiner Mieze das Leben kostet. Das ist der Knalleffekt des Romans. Franz Biberkopf, der es nicht schafft, Hintergründe seines Daseins zu durchschauen, der nicht weiß, warum er sein Leben nicht packt, macht sich schuldig!
Der Dichter wollte die Augen öffnen über die makabre Konsequenz solchen Verhaltens. »Wenn Krieg ist«, läßt er seinen Helden nach Genesung in der Irrenanstalt bilanzieren, »und sie ziehen mich ein, und ich weiß nicht warum, und der Krieg ist auch ohne mich da, so bin ich schuld, und mir geschieht recht«.
Vor dieser überraschend aktuellen Bilanz kneift die ästhetisch bis dahin so überzeugende und mit stürmischem Beifall aufgenommene Inszenierung. Reese und Laufenberg lassen ihren Biberkopf vom Leben in der Wüste philosophieren ...
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