I Jordantal 398 Meter unter Normalnull
Das Tote Meer hat einen Salzgehalt von 23 bis 28 Prozent Von Jürgen Melter
Kamele kommen mit den dornigen Büschen in der Ebene des Jordantales aus ?> Foto: Autor
Eine Fahrt von Jerusalem zum Toten Meer ist nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich ist nur, daß wir uns unter Normalnull begeben werden. Das Jordantal, in dem sich das Tote Meer befindet, liegt 398 Meter unter dem Meeresspiegel. So gleicht die etwa 30 Kilometer lange Talfahrt der Landung eines Flugzeuges: Der zunehmende Druck in den Ohren signalisiert die 1000 Meter Höhenunterschied zwischen Jerusalem und Jordantal.
Am Straßenrand sind auf blauen Fliesen ab und an Höhenzahlen angezeigt: plus 800 m, plus 400 m, plus 200, dann der Markierungsstein mit der Aufschrift »Sea Level« (Normalnull). Hier stellt ein geschäftstüchtiger Beduine ein Kamel bereit, auf dem sich Touristen vor dem Stein fotografieren lassen können. Einmal auf dem Kamel sitzen - 5 Dollar
Langsam öffnen sich die Berge und im Dunst ist die trockene Tiefebene des Jordantales zu erahnen. Im Hintergrund erscheinen schemenhaft die Höhenzüge der Berge Jordaniens. Dort, wo die Straße die Berge verläßt, führt eine Abzweigung zur ältesten Stadt der Welt, nach Jericho, in eine der palästinensischen »Inseln« im Westjordanland. Kurz vor Jericho endet Israel, und es beginnt Palästina. Besser: ein Teilgebiet unter palästinensischer Verwaltung. Nur die »Civil Liaison Mission«, eine von beiden Seiten eingerichtete Polizeistation, kennzeichnet den Wechsel von einem Land ins andere. Abgesehen von den Straßenkontrollen, die sich auf der Straße von Jerusalem nach Jericho befinden, deutet nichts auf die Spannungen hin, in denen die Menschen in diesem Land leben. Wir sind in einem geteilten Land, in dem es keine Grenzen gibt.
Die Tage sind selten, an denen es im Jordantal klare Sicht gibt. Auch heute,
während unserer Fahrt zum Toten Meer, ist es dunstig und drückend heiß. Die hei-ße Luft flimmert vor unseren Augen. Nur schwach glitzert die Wasseroberfläche des Meeres durch den Dunstschleier
Das Jordantal ist eine weite wüste Ebene, in der ab und an buschähnliche Sträucher stehen, die sich trotz der Trockenheit auf dem steinigen Boden halten. Mehr Grün gedeiht nur, wenn Wasser vorhanden ist. So verwundert es nicht, daß plötzlich links und rechts der Straße zum Toten Meer Plantagen auftauchen. Es sind Weinstöcke, Kürbispflanzen, Paprikastauden, Dattelpalmplantagen und anderes, was in mühseliger Arbeit angebaut wird. Die Pflanzungen gehören zu den Kibbuzim (Kibbuz: traditioneller genossenschaftlicher Zusammenschluß in Israel), die sich hier angesiedelt haben. Wer Wasser hat, verfügt über gute wirtschaftliche Möglichkeiten. Israelische Siedlungspolitik hat dafür gesorgt, daß es den Kibbuzim ausreichend zur Verfügung steht.
Im südlichen Teil der Jordansenke erstreckt sich über eine Länge von etwa 75 Kilometern und eine Breite von maximal 15 Kilometern das Tote Meer. Einzigartig in der Welt ob seiner Eigenschaften. Der 930 Quadratkilometer große See verdankt seine Entstehung der geographischen Lage und den hohen Temperaturen. Der Jordan ist der wichtigste Zufluß, das Meer aber abflußlos, so daß das Wasser sich in dieser gewaltigen Senke (bis zu einer Wassertiefe von fast 400 m) ansammeln konnte und bei diesen Temperaturen ständig verdunstet. Das Tote Meer hat einen Salzgehalt von 23 bis 28 Prozent. Im südlichen Teil des Meeres, dort, wo seine Tiefe nur fünf bis sechs Meter beträgt, liegt dieser sogar noch höher Hier ist der Meeresboden mit einer Salzschicht bedeckt, und auf dem Wasser bildet sich fortwährend eine dünne Salzschicht, die durch den Wind zu bizarren Salzgebilden zusammengeschoben werden kann. Durch Wassernutzung am oberen Jordan ist der Zufluß in den letzten
Jahren geringer und der Meeresspiegel beträchtlich abgesenkt worden.
Das Tote Meer stellt eine einzigartige Attraktion dar. Busse schütten täglich viele neugierige Touristen ins salzige Wasser In allen Sprachen der Welt werden die ersten Badeerlebnisse mit diesem besonderen Medium ausgetauscht: »Man kann ja nicht mal richtig schwimmen!«, heißt es immer wieder Und in der Tat, uns geht es auch so. Schwimmen ist kaum möglich. Der Auftrieb ist so stark, daß die gesamte Aufmerksamkeit des Schwimmers darauf gerichtet ist, im Wasser die Balance zu halten. Selbst die Dünnsten haben keine Schwierigkeiten, auf dem Wasser zu liegen.
Ist schon das Tote Meer ein Erlebnis, so hält die umgebende Wüste noch weitere Überraschungen bereit. Es sind Orte biblischer und wechselvoller jüdischer und arabischer Geschichte.
Die Städte Sodom und Gomorrha sollen sich hier befunden haben, die wegen ihrer Lasterhaftigkeit vernichtet worden sind. Nach dem Buch Moses hat Gott Lot und dessen Weib verschont, so daß sie angeblich als zur Salzsäule erstarrte Figur vor der Höhle steht, in der Lot den Untergang Sodoms und Gomorrhas überlebte. Das heutige Sodom allerdings erinnert kaum noch an diese Lasterhaftigkeit. Es sei denn, wir nehmen die Umweltverschmutzung durch die Industrie als solche wahr
Da ist ferner die geschichtsträchtige Festung auf dem Massada-Berg, der sich bis zu 400 Meter über dem Toten Meer als abgeplatteter Kegel erhebt. Auf dessen Plateau ließ der Judenkönig Herodes in den Jahren zwischen 37 und 31 unserer Zeitrechnung eine Festung erbauen. Rings um das Plateau des Berges wurde eine zwei Meter hohe Mauer erbaut. Erhalten oder teilweise restauriert sind eine der ältesten Synagogen, Wohnhäuser, Wirtschaftsräume und Badethermen. Das Wasser wurde in Höhlen in den benachbarten Bergen während der Regenzeit aufgefangen und in Ziegenschläuchen von Trägern auf den Berg gebracht. Wie überhaupt alles, was auf dem Berge benötigt wurde, hochgeschleppt werden mußte. Massada wird heute als Symbol jüdischen Widerstandes gegen auswärtige Eroberer betrachtet.
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