Gleichheitsgrundsatz verletzt
Frage: Ich greife eine Formulierung beider Professoren auf. Sie sprachen von der Notwendigkeit der Forderung nach dem verfassungsmäßig Gebotenen. Für mich heißt verfassunsgemäß geboten auch die Einhaltung des Artikels 3 Grundgesetz, des Gleichheitsgrundsatzes für alle Bürger der Bundesrepublik. Nun sehe ich in dem Urteil des Verfassungsgerichtes bezogen auf die ehemaligen Mitarbeiter des MfS, ich gehöre dazu, die Verletzung dieses Grundsatzes, indem man uns die Gleichbehandlung mit anderen verwehrt. Wie ste-
hen Sie dazu?
Prof. Azzola: Zunächst einmal hat ja das Bundesverfassungsgericht die Ungleichbehandlung begründet aus der besonderen Rechtsstellung des Sonderversorgungssystems des MfS in der DDR. Darauf möchte ich noch einmal hinweisen. Zweitens hat das Bundesverfassungsgericht dies als tatsächlich gegeben unterstellt und wie folgt argumentiert: Gleich zu behandeln ist nur Gleiches. Gibt es eine Sonderregelung, darf man an sie auch anknüpfen.
Daraufhin hat das Bundesverfassungsgericht gesagt, dies hat schon der Gesetzgeber der DDR getan. Ich, Bundesverfassungsgericht, beanstande das nicht, denn das war doch der Gesetzgeber der DDR, über den ich nicht zu befinden brauche. Aber der Inhalt dessen, was die Volkskammer beschlossen hat, ist auch Inhalt des Einigungsvertrages geworden. Daran knüpfe ich an, und daraus ergibt sich dann etwas Besonderes.
In der Tat möchte ich in der Debatte um die Höhe der individuellen Rentenansprüche von Angehörigen dieses Ministeriums mit dem Gleichheitssatz argumentieren, allerdings in etwas anderer Weise, als Sie das vorhaben. Ich möchte z. B. die Frage aufwerfen, ob es mit dem Gleichheitssatz vereinbar ist, wenn Angehörige eines Wachregiments, die erstens eine Repräsentationsfunktion und zweitens eine Personenschutzfunktion hatten, die auch in Westdeutschland wahrgenommen werden mußte und wird
(wenn auch nicht in Unterstellung unter das Bundesamt für Verfassungsschutz) - wenn diese Menschen rentenrechtlich benachteiligt werden, allein aufgrund der Tatsache ihrer gewissermaßen beamtenrechtlichen Unterstellung.
Da bin ich gespannt auf die Gegenargumente. So will ich mich mit dieser Frage politisch auseinandersetzen, weil ich jede andere Form der Auseinandersetzung für gegenwärtig nicht gewinnbar erachte.
Prof. Bienert: Ich habe keine prinzipiell andere Auffassung, möchte aber etwas weitergehen. Der Artikel 3 Grundgesetz scheint auch mir hier nicht genügend beachtet worden zu sein. Wenn man mal die 40 Jahre DDR betrachtet und die Tatsache annimmt, daß jemand 40 Jahre lang beim MfS Beiträge für sein Gehalt bezahlt hat, dann sind natürlich 1,0 Entgeltpunkte nicht einmal das wert, was auf die 600 Mark Pflichtversicherung im Laufe dieser 40 Jahre gezahlt wurde. Das leistungsrechtliche, rentenrechtliche Minimum müßte eigentlich das sein, was eben 40 Jahre lang als Beiträge zur Pflichtversicherung der DDR gezahlt wurde. Das ist meines Erachtens auch unter dem Aspekt des Artikels 3 Grundgesetz zu beachten.
Prof. Azzola: Nein, genau das ist unter Artikel 14 (Eigentumsschutz) zu verstehen. An der Stelle kann man Artikel 14 rügen.
Ich war gefragt worden zu Artikel 3. Es ist selbstverständlich, Artikel 14
wird verletzt, wenn unterhalb der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsäquivalenz Leistungen gewährt werden. Auch durch die Entscheidung des Verfassungsgerichts ändert sich nichts an meiner Einstellung. Politisch interessanter und erfolgversprechender finde ich in der Tat diese Art der Argumentation mit dem Gleichheitssatz, den ich an einem einzigen Punkt exemplarisch vorgeführt habe.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.