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Mensch ohne Seele

Mutmaßlicher Mörder und Schläger angeklagt Von Peter Kirschey

  • Lesedauer: 2 Min.

Es läuft einem, eiskalt den Rücken runter, wenn man hört, was die Staatsanwaltschaft dem 24jährigen Torsten P vorwirft. Auf Mord und gefährliche Körperverletzung lauten zwei der Anklagepunkte vor der 36. Großen Strafkammer, wo gestern der Prozeß gegen ihn begann.

Die Ergebnisse der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen erbringen jedenfalls den Beleg eines gefühllosen, gewalttätigen Menschen, dem jeder Respekt vor der Unversehrtheit der Mitmenschen verlorengegangen ist.

Am 7 März letzten Jahres soll er sich in der Tiergartener Wohnung einer Frau seinen Alkoholdunst freigeschlafen ha-

ben. Doch in seinem Geschnarche wurde er am Morgen von einem anderen Mittrinker durch harmlose Geräusche geweckt. Das brachte ihn derart in Rage, daß er sofort zum Revolver griff, auf den »Störer« schoß, dann wie ein Wahnsinniger mit der Schere auf den Mann losging und ihn mit mehreren Stichen erheblich verletzte.

Die Mordanklage wurde wegen einer Tat am 13. Januar dieses Jahres erhoben. Danach hatte sich Torsten P., in Suffkreisen »Pizza« genannt, mit Murat Y in der Rostocker Straße getroffen. Ein schwelender Streit um eine Nichtigkeit sollte blutig beendet werden. Unvermittelt zog er, als sie sich trafen, sein kurzläufiges Gewehr und feuerte auf den völlig Ahnungslosen gezielte Schüsse ab. Als

Torsten P bemerkte, daß Murat noch lebt, setzte er das Gewehr an seinen Kopf und richtete ihn aus nächster Nähe hin.

Wie kommt ein Mensch zu solch seelenloser Kaltblütigkeit? Torsten P lebte nicht isoliert, fernab auf einer Insel, wo er seine primitive Brutalität ausleben konnte. Er hat Freunde, eine Verlobte, die selbst unter seinen wütenden Schlägen leiden mußte, hat ein soziales Umfeld. Wie wird man so, daß man aus scheinbar nichtigen Gründen schießt, zuschlägt oder mit dem Messer wütet? Schlimme Kindheit, vorzeitiges Schulende, Scheidung der Eltern oder Dauerarbeitslosigkeit allein reichen nicht aus, um die Roheit dieses Mannes zu begründen. Es muß wohl auch ein wenig Veranlagung sein, wenn ein Mensch derart abstumpft. Der erste Prozeßtag konnte das Geheimnis des kalten Herzens nicht entschlüsseln. Der Angeklagte saß auf der Bank und verteidigte sich durch Schweigen. Am morgigen Freitag werden Zeugen und Gutachter das Bild des Torsten P vervollständigen, dann wird möglicherweise sichtbar werden, wie ein Mensch zu solchen Taten fähig sein kann.

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