I Hamburger GAL-Chefin ist Weltmeisterin
Weltweit spielen 15 000 Menschen Tischeishockey, ein Konzentrationsspiel mit Billard- und Schachelementen
Tischeishockey-Promi Kordula Leites Foto: Stahl
Von Volker Stahl
Es gibt keinen Titel, den Heiko Seyffarth in seiner sportlichen Laufbahn nicht abgeräumt hat. Der 34-Jährige ist amtierender Weltmeister, Hamburger Champ, ehemaliger Sieger im Masters und führt die aktuelle Weltrangliste mit 716,48 Punkten an. »Ich bin sozusagen alles«, ulkt der Lehramtsstudent. Trotzdem kennt ihn keiner. Sein Pech: Er spielt Tischeishockey, nicht Golf oder Tennis. Das Spielmaterial des Exotensports besteht nicht aus Bällen und Schlägern, sondern aus Legosteinen sowie Fünf- und Einpfennnigstücken.
Zu der Zeit, als die Jugend zur Musik von Abba, Smokie und den Bay City Rollers in Ekstase fiel und langmähnige Fußballstars wie Netzer, Overath und Breitner auf dem grünen Rasen den Ton angaben, schnippten die Münchner Buben Peter
und Stefan Geldmünzen auf einem Serviertablett. Die Mußestunde der beiden Geschwister war die Stunde Null im Tischeishockey. »Das Tablett war oval wie ein Eishockeyfeld und die Griffe sahen aus wie Tore«, erinnert sich Peter Linden. Der 39-jährige Journalist, der das Spiel für flinke Finger vor knapp einem Vierteljahrhundert ersonnen hatte, professionalisierte sein geistiges Produkt in den Folgejahren: Der Spielefreak klügelte für das »Konzentrationsspiel mit Billard- und Schachelementen« ein umfassendes Regelwerk aus, veranstaltete Turniere, besorgte Sponsoren und zimmerte knapp 1300 Sperrholzplatten in seiner Garage zusammen. »Mittlerweile sägt ein Tischler die Platten mit einem Durchmesser von 50 Zentimetern zurecht«, weiß Heiko Seyffarth. Auch der Edding-Stift hat ausgedient. »Das Spielfeld wird heute maschinell bedruckt und die Banden werden aus feinen Plastikstreifen gefertigt.«
Und wie geht der Puck ab? Beide Mannschaften, erzählt Seyffarth, bestehen aus
jeweils fünf einheitlich bemalten Fünf-Pfennig-Münzen. Diese müssen mit einem flachen Legostein gegen den Puck - eine gelb bemalte Metallscheibe von der Größe eines Ein-Pfennig-Stücks - Richtung Tor geschnippt werden. Ein Spiel dauert zwei Mal zehn Minuten. »Neben Übersicht und Geschicklichkeit entscheiden gute Nerven über Sieg oder Niederlage«, sagt der Hobby-Handballer des TuS Alstertal. Der Mann muss das Erfolgsgeheimnis kennen, schließlich wurde er 1997 und 1998 Weltmeister. Und das trotz »zitternder Hände«, wie der Champ freimütig gesteht. Das skurrile Geschicklichkeitsspiel, das zunächst in Wohngemeinschaften, später vor allem in Kneipen Karriere gemacht hat, zieht zur Zeit weltweit 15000 Menschen in seinen Bann. 200 Aktive aus 20 Nationen nehmen regelmäßig an Wettkämpfen teil, internationale Titelkämpfe werden seit 1979 veranstaltet. Als Erfinder Peter Linden vor Jahren von einem Spieleverlag schlappe 100000 Mark für die Abtretung der Rechte an dem
Schnippspiel geboten bekam, winkte er ab: »Wenn wir das Spiel abgegeben hätten, wäre Tischeishockey zerstört worden.«
Prominenteste Protagonisten des coolen Sports mit der Kupfermünze sind der ehemalige Bundesliga-Torhüter Jürgen Rollmann (Werder Bremen und MSV Duisburg) sowie die Hamburger Grüne Kordula Leites. Die Partei-Sprecherin der GAL darf sich sogar mit dem Titel »Weltmeisterin« schmücken. Bei der WM im letzten Jahr im walisischen Rhayader war die studierte Sportwissenschaftlerin mit dem Weltrangplatz 28 bestplatzierte Frau. Wie kommt eine Politikerin zum Kneipensport? »Ganz einfach, Leute im Studium haben mich zum Tischeishockey gebracht.« In Kellern, Garagen, Kneipen und auf WG-Küchentischen boomt der Sport der schnippenden Strategen weiter.
Auch um den Nachwuchs muss sich die Tischeishockey-Gemeinde keine Sorgen machen. »Kinder haben das meist schnell
raus«, sagt Seyffarth-Freundin Ulrike Schulte. Die angehende Lehrerin hat das Spiel mehrfach im Kinderzeltlager getestet. Offensichtlich mit Erfolg: »Die haben das sogar noch im Dunkeln gespielt.« Ohne Flutlicht eine reife Leistung!
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