Reisen mit der »Völkerfreundschaft«
Rostocker Ausstellung ruft Passagierschifffahrt unter DDR-Flagge in Erinnerung
Von Florian Preuß
Ein mächtiger Stau beherrschte am Mittwoch letzter Woche die August-Bebel-Straße in Rostock. Am Haken eines Krans schwebte Zentimeter um Zentimeter die »MS Fritz Heckert« durch ein Fenster in den zweiten Stock des Schifffahrtmuseums. Natürlich nur ein Modell des Urlauberschiffes der DDR, aber immerhin mit einer imposanten Gesamtlänge von über sieben Metern.
Dieses Modell ist jetzt das Schmuckstück der neuen Sonderausstellung »Von Rostock in die weite Welt«, die noch bis Februar 2000 im Schifffahrtsmuseum zu sehen sein wird. »Wenigen Leuten ist bekannt, dass die DDR mit der Völkerfreundschaft, der >Fritz Heckert< und der >Arkona< drei große Kreuzliner im Dienst hatte«, sagt der Historiker Ronald Pie-
chulek. Zusammen mit seiner Kollegin Silvia Reißmann hat er sich knapp ein Jahr lang mit der Geschichte der Passagierschifffahrt unter DDR-Flagge befasst.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1959 Damals erwarb die DDR für 17,5 Millionen Valutamark das schwedische Passagierund Frachtschiff »Stockholm«. Der heute 67-jährige Werner Koch war als dritter Ingenieur dabei, als das Schiff in Stockholm übernommen wurde. Wenig später hieß es »Völkerfreundschaft« und stach als Urlauberschiff vom Rostocker Hafen aus in See. Von 1960 bis 1985 legte es mehr als eineinhalb Millionen Seemeilen zurück. 218 593 Passagiere kamen in der Zeit an Bord. Für Werner Koch erfüllte sich ein lang gehegter Traum. »Raus kommen und etwas von der Welt sehen«, so beschreibt er den damaligen Reiz.
Die Sehnsucht nach der exotischen Ferne teilte auch Jürgen Stahl, ehemaliger
Chefkoch auf der »Völkerfreundschaft«. Doch nach zwanzig Jahren stellte er fest, dass »man sich dabei immer mehr vom eigenen Land entfremdet«. Deshalb blieb er 1980 schließlich an Land. Heute betreibt er zusammen mit seiner Frau, einer ehemaligen Stewardess des Schiffes, ein Seehotel in Rostock. Die Ausstellung weckt bei ihm alte Erinnerungen. Wehmütig betrachtet er die Fotos, Dokumente und Modelle. Die Geschichte der DDR-Passagierschifffahrt ist auch seine Geschichte.
Unzufrieden ist am Abend der Ausstellungseröffnung Gerd Peters. Der ehemalige Kapitän der »Völkerfreundschaft« wollte am gleichen Tag sein Buch »Vom FDGB-Urlaubsschiff zum Luxus-Liner« präsentieren. Doch nach dem Willen des Verlags muss er sich aus verkaufstaktischen Gründen noch mehrere Monate gedulden. Ohne Peters'und die Hilfe anderer ehemaliger Besatzungsmitglieder wäre
aus der Ausstellung wohl nichts geworden. Zu vielen Erkenntnissen gelangten die Historiker Reißmann und Piechulek erst nach Gesprächen mit ihnen, den Zeitzeugen. Die prachtvolle Kapitänsuniform kommt aus dem Kleiderschrank von Peters. Von Chefkoch Stahl stammen Teller, Gläser und Besteck mit »Völkerfreundschaft«-Prägung. Ingeneur Koch steuerte einen zum Aschenbecher umfunktionierten Motorkolben bei. Diese Aschenbecher wurden auf Kuba-Reisen versteigert, der Gewinn, bis zu 400 Mark pro Exemplar, floss in den Solidaritätsfond der Redereien. Geld, dass für anfallende Reparaturen dringend benötigt wurde.
Geld- und Sachspenden im Wert von 30 Millionen Mark hatten auch den Bau des ersten DDR-Passagierschiffes ermöglicht. Das war im Jahr 1959 auf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar. Am 25. Juni 1960 lief das Schiff vom Stapel und wurde
auf den Namen des Arbeiterführers Fritz Heckert getauft. Der weltweit einmalige Kombinations-Antrieb des weißen Schiffes mit zwei Dieselmotoren und zwei Gasturbinen war jedoch sehr anfällig. Schon 1971 wurde die »Fritz Heckert« außer Dienst gestellt. Bis 1991 lag das Schiff im Stralsunder Hafen, dann wurde es nach Übersee verkauft. Spektakulär der Kauf des BRD-Kreuzers »Astor«. Das »Traumschiff« aus der gleichnamigen ZDF-Serie wurde unter dem Namen »Arkona« ab Oktober 1985 von den DDR-Bürgern als Urlauberschiff genutzt.
All diese Fakten interessieren die meisten Gäste am Eröffnungsabend herzlich wenig. Sie tauschen Erinnerungen aus. Viele werden wohl in den nächsten Wochen noch mal herkommen, um sich alles in Ruhe anzuschauen. Doch da müssen sie sich beeilen. Ronald Piecholek. »Wenn die Ausstellung ein Erfolg wird, schicken wir sie vielleicht auf Wanderschaft.«
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