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  • Politik
  • Brigitte und Marcel von Barbara und Wilfried Junge

Dem Leben zuschauen

  • Martin Mund
  • Lesedauer: 2 Min.

Vielleicht ist der Satz, dass ein guter Dokumentarfilm dem Leben bei der Arbeit zuschaue, im Zusammenhang mit Winfried Junges »Golzow«-Serie schon oft gesagt worden. Aber vielleicht erfüllt ihn gerade »Brigitte und Marcel«, der 15. Teil der seit 1961 laufenden Langzeitbeobachtung, am konsequentesten. Denn das Leben endet bekanntlich in jedem Falle mit dem Tod - und zum ersten

Mal zeigt uns der Regisseur, gemeinsam mit seiner Co-Autorin und Schnittmeisterin Barbara Junge, das Schicksal eines Golzow-Kindes bis zu dessen frühem Ende. Brigitte, die lustige Kleine mit den Zöpfen, starb im Aller von 29 Jahren. Ihr Dasein war geprägt von ihrer Krankheit, und wohl auch vom anderen Unglück, dem Pech mit den Männern.

Wie in keinem früheren Golzow-Kapitel ist hier die »große« Politik fast ganz abwesend. Brigitte hat sich dafür kaum interessiert; die Antworten auf entsprechende Fragen Winfried Junges bleiben herzlich

naiv. Auch ihr Sohn Marcel, den der Film als zweite Hauptfigur bis heute begleitet, war nur bedingt als Exempel für gesellschaftliche Umbrüche tauglich. Sicher-Die Szene, in der er und andere Jugendliche die Lehre beenden und sofort in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, lässt einem für Sekunden dem Atem stocken. Aber mehr noch als solche Momente beeindruckt die generelle Dichte, mit der die Filmemacher ganz einfaches privates Leben aufgezeichnet haben. Einen Alltag in Bescheidenheit; die Kümmernisse; die kleinen Horizonte, die dennoch große Träume hervorbringen; Hoffnungen auf Glück, Geborgenheit, Gesundheit. Und die Macht des Schicksals, die vieles zerstört. So ist »Brigitte und Marcel« gerade auch ein Film darüber geworden, wie Menschen mit Leid umgehen. Still und zunehmend in sich gekehrt die Mutter, immer

agiler und kämpferischer der Sohn und dessen Frau, die mit einem kranken Baby zu leben lernen mussten. Die Kamera begleitet sie bei einem ihrer unzähligen Klinikbesuche, beim Gespräch mit den Ärzten, die den verformten Kopf des Jungen zu operieren wagen. Und dann beim Spaziergang im Freien, als alles gut zu sein scheint.

Im Umkreis solcher Szenen, vor allem aber während der hoch emotionalen Konfrontation Marcels mit Filmaufnahmen der lange verstorbenen Mutter, nimmt Winfried Junge seinen Kommentar wohltuend zurück. Er schweigt, weil jedes Wort nur störend wirkt. »Brigitte und Marcel« bringt also in mancher Beziehung neue Facetten ins Golzow-Universum ein. Eine Arbeit, die noch immer Neugier macht auf das, was folgen könnte. ??

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