- Politik
- Margarete Steffin korrespondierte mit Brecht, Benjamin und Arnold Zweig
Die Frau, die sich um alles kümmerte
Noch im letzten Text sind ihre Gedanken bei Brecht, »seit Wochen«, schreibt Margarete Steffin zur Jahreswende 1940/41 in Helsinki, »schwimme ich auf dem fieberschiff, es steigt schrecklich auf und ab, mir ist so schlecht, so schlecht, ich will ans ufer der gesundheit, aber das schiff legt nie an.« Und dann ruft sie in einer Fieberfantasie, die sie Brecht zum Geburtstag schicken will, all die »liebsten« Stücke auf, »die durch die ungunst der zeit nie eine Bühne gesehen«, von der »Heiligen Johanna der Schlachthöfe« bis zum »Guten Menschen von Sezuan«. Da bleibt ihr nur noch ein halbes Jahr. Sie wird es, trotz der tückischen Krankheit, mit viel Arbeit verbringen. Im März und April übersetzt sie ein Stück von Hella Wuolijoki und sitzt mit Brecht am »Arturo Ui«. Mitte Mai erhält sie endlich ein Visum für die USA. Mit der Brecht-Familie und Ruth Berlau begibt sie sich über Leningrad nach Moskau. Von dort will man weiter nach Wladiwostok und dann mit dem Schiff nach Amerika. Aber den letzten Teil der Reise kann sie schon nicht mehr antreten. In Moskau bricht sie zusammen und stirbt dort am 4. Juni
1941, fünf Tage nach der Abfahrt der anderen. Sie ist nur 33 Jahre alt geworden.
Lange ist diese Margarete Steffin bloß eine Fußnote in der Brecht-Biografie gewesen. Freilich: Wer immer den Spuren des Dichters folgte, konnte sie nicht übersehen. Sie war, nach den Worten Hanns Eislers, die »wertvollste Mitarbeiterin Brechts«, eine Berlinerin, die aus dem Arbeitermilieu gekommen war und sich als Autodidaktin »einen glänzenden Geschmack in verfeinertsten literarischen Fragen« angeeignet hatte, klug, streng, fleißig und unentbehrlich. In vielen Stücken bis hin zum »Puntila« ist sie als Mitarbeiterin ausgewiesen. Eine Zusammenstellung von Einzelgedichten, die sie besorgte, wird 1942 von Brecht den Namen »Steffinische Sammlung« erhalten (später »Steffinsche Sammlung«). Und als sie am »Arturo Ui« arbeiteten, im Sommer 1940, vermerkt das »Arbeitsjournal«: »grete rechnete aus, daß von 100 Versen 45 hinkten... grete züchtigt mich mit skorpionen, der jamben des >Ui< wegen, seit einer vollen woche sitze ich darüber, und sie will mir immer noch keine beruhigenden Versicherungen abgeben.«
Natürlich wusste man auch, dass sie selber Gedichte, Geschichten und Arbeiten für Kinder geschrieben hat. Aber erst Inge Geliert hat mit ihrer Edition der verschütteten, unzugänglichen Texte (1991
bei Rowohlt Berlin) dafür gesorgt, dass man sich von der Schriftstellerin Margarete Steffin überhaupt ein Bild machen kann. Stefan Hauck, ebenso engagiert, folgt nun mit einer weiteren Ausgrabung. Er macht in einem Band mit dem lakonischen Titel »Briefe an berühmte Männer« alle Schreiben bekannt, die die Steffin zwischen 1932 und 1940 an Brecht, Walter Benjamin und Arnold Zweig gerichtet hat. Das Buch, erschienen in der Europäischen Verlagsanstalt, holt diese tapfere und selbstlose Frau so dicht vor Augen, dass man nicht bloß ungefähre Umrisse sieht. Hier ist sie ganz nah: mit ihrem Alltag, ihrer Arbeit, ihrer Liebe, ihrer Wärme und einem Lebenswillen, der der frühen Tuberkuloseerkrankung immer wieder heroisch trotzt.
Das Zentrum ihres Daseins, keine Frage, ist Brecht. Alles, was sie tut, denkt und fühlt, hat mit ihm zu tun. Für ihn reibt sie sich auf. Sie kümmert sich um Bücher, Übersetzungen und Honorare. Sie feilt mit ihm an Manuskripten, korrigiert, kritisiert, verhandelt. Sie sorgt dafür, dass möglichst nichts schief geht, und wo immer sie hinkommt, wächst ihr automatisch die Rolle der Stellvertreterin zu. Alle fragen nach ihm. Alle wollen wissen, was sie mit ihm gearbeitet hat. Aus Paris schreibt sie im Juli 1933: »ich vertrete Dich würdig bei Deinen freunden, bewun-
derern, feinden, genossen, bloss nicht bei den frauen.« Die Einschränkung steht nicht zufällig hier. Sie macht die problematische Seite dieser Arbeits- und Liebesbeziehung bewusst, und wenn sich Margarete Steffin auch mit Klagen und Vorwürfen zurückhält, ist doch nicht zu übersehen, wie sehr sie bei aller Erfüllung, die sie im Umgang mit Brecht fand, gelitten hat.
Sie habe immer Angst vor der Nacht, schreibt sie dem »lieben bidi« einmal, denn sie träume ständig dasselbe: »ich sehe Dich mit irgendwelchen frauen, rege mich sehr auf, wache dauernd auf, heulend sogar, und immer solches blödes theater.« Später wird sie gar einräumen, dass sie »eh schon versklavt« sei. Aber wenn der Tag gekommen ist, spielt sie ihre Ängste und Befürchtungen schon wieder herunter. Sie mag weder laute Auftritte noch schrille Worte, und sie versagt sich sogar ein Gefühl der Genugtuung, als man ihr in Kopenhagen »hässliche Dinge« über ihre Nebenbuhlerin Ruth Berlau erzählt. Mit einem »Schwamm drüber« ist das Thema erledigt, noch ehe die Sache über die vage Andeutung hinausgekommen ist.
Brecht ist auch in den Briefen gegenwärtig, die an Benjamin und Arnold Zweig gehen, »hier in Kopenhagen«, schreibt die Steffin im Herbst 1935 an den »lieben Dr. Benjamin«, »versuche ich gerade, einige sehr alte Erzählungen von br. unterzubringen.« Ein andermal bittet sie ihn, zwei Aufsätze über die großen Gestalten in den Brecht-Dramen zu schreiben. Dann wieder erneuert sie die Aufforderung, unbedingt mal nach Svendborg zu kommen, wo der Brecht-Clan fürs Erste den Gang der Dinge in Deutschland abwartet. Schon beim ersten Mal schickte sie vorsorglich detaillierte Angaben über Reiseroute und Zuganschlüsse mit.
Sie hat die eigenen Kümmernisse nicht verschwiegen, aber auch nie vor sich hergetragen. Ihre Krankheit kommt meist nur in Nebensätzen vor. Margarete Steffin gestattet sich weder Klagen noch dramatische Bekundungen der Schwäche. Sie ist immerzu damit beschäftigt, irgendetwas zu erledigen. Sie sucht nach Möglichkeiten, emigrierten Autoren ein Publikum zu verschaffen, achtet auf Finanzen, Filmprojekte, Kritiken. Es gebe viel Arbeit in Svendborg, sagt sie einmal, wenig Kino, noch weniger Bücher und überhaupt keine Kriminalromane. Da denkt sie, versteht sich, schon wieder an Brecht. Er ist es, der ohne Kriminalromane kaum auskommen kann. Auch wenn sie Arnold Zweig, dem Leidensbruder wegen seiner schweren Augenkrankheit, ein paar Zeilen schickt, sind es hauptsächlich Berichte über Brechts Arbeit, die damit verbundenen Geschäfte und die Existenzbedingungen in der Fremde.
Sie war in ihrem Einsatz für Brecht und in ihrer Liebe zu ihm unverwüstlich. Auch der erstaunliche Umfang ihrer Korrespondenz hat wohl vor allem damit zu tun. Die Adressaten ihrer Briefe waren lauter berühmte Schriftsteller und Theaterleute: Heinrich Mann, Hermann Hesse, Bruno Frank, Lion Feuchtwanger, Anna Seghers, Gustav Regler, Martin Andersen Nexö, Hanns Eisler, Erwin Piscator, Sergej Tretjakow. Was Stefan Hauck in seiner Edition bietet, ist, streng genommen, nur ein bescheidener Ausschnitt. Doch sind di Schreiben, die hier stehen, vermutlich jt ner Teil der Korrespondenz, der über Margarete Steffin am genauesten Auskunft gibt.
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