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Wundheilung mit Haut und Haaren

Jenaer Mediziner züchten Ersatzhaut aus körpereigenen Haarzellen

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Jörg Völkerling

Stolpern, Fallen, Aufprallen: Die Wunde schmerzt im ersten Moment heftig, es blutet. Doch schon eine Woche später ist an gleicher Stelle nur noch Schorf zu sehen, und nach noch mal sieben Tagen unterscheidet sich die ehemals wunde Stelle nur noch durch einige weiße Tupfer von der Haut in der Umgebung. Rund drei Millionen Menschen in Deutschland können von einer so komplikationslosen Heilung nur träumen. Ihre Diagnose wird allerdings auch nicht nach einem harmlosen Stolperer gestellt: Diabetiker, Patienten mit arteriellen oder venösen Gefäßerkrankungen und schwer Pflegebedürftige, die sich im Bett wund liegen, können unter chronischen Wunden leiden.

An der vor zwei Jahren an der Hautklinik der Friedrich-Schiller-Universität Jena gegründeten Wundambulanz hilft man solchen Patienten inzwischen mit einem neuen Verfahren, das Patienten auf eine schnelle und sichere Genesung hoffen lässt. Die Behandlung, bei der aus körpereigenen Zellen gewonnene Ersatzhaut für den Wundverschluss sorgen soll, kann fast ausschließlich ambulant erfolgen - die langen Liegezeiten bei stationärer Transplantation von Hautpartien entfallen. Die Nachfrage niedergelassener Kollegen nach diesem Therapieansatz ist groß, das Einzugsgebiet der Jenaer Klinik auch. Deshalb wurden die bisherigen Patienten - mehr als 20 - in der Jenaer Hautklinik ausschließlich stationär behandelt. Für eine ambulante Betreuung wären die Anfahrtswege zu lang gewesen.

Zwar ist das Verfahren, körpereigene Oberhautzellen zu kultivieren, schon seit fast zwei Jahrzehnten bekannt. Doch hat es vieler Laborversuche bedurft, bis die gezüchtete Ersatzhaut für den behandelnden Arzt handhabbar und resistent genug gegen mechanische Belastungen war. Der Jenaer Dermatologe Prof. Dr. Uwe Wollina wendet zur Zeit zwei Methoden an: Entweder gewinnt er die Zellen aus einem Stück expandierter Haut, oder er isoliert Oberhautzellen aus einigen frisch entfernten Haaren des Patienten. In beiden Fällen werden diese so genannten Keratinozyten in einer Nährlösung gezüchtet und nach etwa zwei bis drei Wochen auf eine künstliche Matrix »transplantiert«. Im ersten Fall handelt es sich dabei um einen mit Hyathron-Säure versetzten Träger. Als Bestandteil des Bindegewebes der Haut sorgt diese Säure für die Integration der Zellen. Insbesondere bei vielen kleinen zu verschließenden Flächen wie Schürfwunden verwendet Professor Wollina die aus Haarkeratinozyten gewonnenen Zellkulturen. Die Oberhautzellen der Haare haben nämlich die Eigenschaft, schnell zu wachsen und sich besonders gut einem veränderten Mikromilieu anzupassen.

Das ist bei der »Transplantation« von Ersatzhaut besonders wichtig; denn verpflanzt wird nicht das fertige Gewebestück. Mit aus einem Blutgerinnungsstoff gewonnenen Fibrinkleber wird das Gewebe-Rohmaterial auf die betroffene Körperpartie aufgeklebt. Dort wächst es und passt sich der Wunde an. »Damit erreichen wir die gleiche Anwachsrate wie mit der herkömmlichen Transplantation«, sagt Professor Wollina. Erfreulicher kosmetischer Nebeneffekt für den Patienten: Die zugewachsene Wunde wird acht Wo-

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chen nach der Zellverpflanzung nicht mehr von der Umgebung zu unterscheiden sein. »Ein Transplantat«, sagt Professor Wollina, »behält seine Eigenschaften auch am neuen Ort.« Es würde sich zum Beispiel durch Helligkeitsunterschiede immer abheben.

Voraussetzung des an der Jenaer Klinik praktizierten Verfahrens ist natürlich, dass die Wunde beim Eingriff flach und nicht infiziert ist. Wegen der starken Entzündungsvorgänge bei chronischen Wunden erfordert deshalb gerade die Vorbereitung besondere Sorgfalt. Sonst kann es passieren, dass sich die Oberhautzellen

auf das Bindegewebe schieben und einen dicken Rand rund um die Wunde bilden. Gesicht und Unterschenkel sind die bevorzugten Einsatzgebiete für Transplantate aus Ersatzhaut. »Auch der Arm, aber da treten kaum chronische Erkrankungen auf«, sagt Professor Wollina. Grenzen setzt zudem die Größe der Wunde. Zwar reicht ein nur zwei Zentimeter großer Zellrasen zum Verschluss von bis zu 100 Quadratzentimeter großen Wunden, doch rät der Jenaer Dermatologe davon ab, mehr als 50 bis 70 Quadratzentimeter große Defekte damit zu behandeln. Da die Heilung beeinträchtigt würde, sind au-ßerdem aufliegende Hautpartien wie das Gesäß ausgeschlossen. Nicht zuletzt muss der Patient selber wollen und darf durch eine Vorerkrankung nicht so stark ans Bett gefesselt sein, dass er den Heilungsprozess durch Bewegung, sprich Stoffwechselanregung, nicht selbst befördern kann. So ist auch Prof. Wollinas Anmerkung zu verstehen, die Wundambulanz verstehe sich als Teil eines Gesamtkonzeptes: Eine durch Diabetes verursachte Wunde kann

wieder verschlossen werden. Wird jedoch die Krankheit nicht ausreichend behandelt, kann sie an anderer Stelle wieder aufbrechen. Ökonomisch spricht langfristig einiges für die Ersatzhaut-Transplantation, auch wenn die Investitionen aufgrund der hohen Ansprüche an die Sorgfalt der Mediziner zunächst hoch sind. Doch nicht zuletzt kann mit einer erfolgreichen Verpflanzung die Dauer von Bewegungseinschränkungen eines Patienten deutlich verkürzt werden. Schon zum neunten Mal werden sich Anfang Dezember internationale Experten zum Interdisziplinären Symposium in der Jenaer Hautklinik treffen, um aktuelle Aspekte der Wundheilung zu diskutieren. Diesmal wird die Aufklärung über diabetische Erkrankungen und Therapie begleitende Hilfsmittel im Mittelpunkt stehen. Der Ort ist für die Tagung wie prädestiniert, denn schließlich war Jena eines der ersten von 14 deutschen Wundheilungs-Kompetenzzentren, die Ersatzhaut züchteten und verpflanzten. Auch in internationalen Evaluationen, so Prof. Wollina, könne Jena mit den Besten mithalten.

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