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Die Granate

  • Lesedauer: 2 Min.

Ein Mann, namens Anton Schulz, der Soldat in der Hitlerarmee vom ersten Tag bis zum letzten gewesen war, an dem er schließlich doch noch gefangengenommen wurde, kam endlich nach vielen Jahren gesund nach Hause.

Er fand seine Frau gesund wieder und seine drei kleinen Söhne: er wollte ihnen der beste Vater sein, und wurde es auch. Frau Schulz hatte all die schweren Jahre durch ihre Klugheit, Herzensruhe und Arbeitskraft mitsamt den Kindern gut überstanden. Sie gebar jetzt im Frieden ihr viertes Kind. Der Mann war wieder Landarbeiter wie vor dem Krieg, er war wieder überall beliebt, er galt in der Gemeinde und auf den Versammlungen als ein vernünftiger und zurückhaltender Mensch. Und seine Frau fand, dass sich letzten Endes, trotz allen bereits überstandenen Ungemachs seine Meinung bewahrheitete, die er verlauten ließ, seit sie ihn kannte, in der Weimarer Republik, in der Hitlerzeit, in der Demokratischen Republik, nur immer die aufgetragene Pflicht erfüllen, sich niemals bemerkbar machen. Ihr schien es selbst, die Gra-

naten hätten ihn deshalb verschont, obwohl sie haarscharf an ihm explodiert waren. Ihr schien es, gar nichts tun sei genug getan. Ihr schien es, was ihr nicht passiert war, sei gar nicht passiert.

Im letzten Frühjahr spielten ihre drei Jungen an ihrem Lieblingsort, einem Sandbruch. Die kühle Sonne stand wie der Friede selbst über dem Land. Es hatte geregnet. Es sprosste so regelmä-ßig und rasch wie der Kuckuck rief. Die Jungen stießen beim Spielen auf Munition, die Soldaten vor Jahren vergraben hatten. Das Dorf war starr vor Entsetzen, als sie von einer Granate zerfetzt wurden. Die junge Frau Schulz saß stumm vor Verzweiflung inmitten der Bäuerinnen, die gar keinen Trost wussten, und sie hatte auch nichts mehr in der Brust für das jüngste Kind, das ihr geblieben war. Eine sagte: »Das ist die Vorsehung.« Eine andere sagte: »Das ist das Schicksal.« Die alte Frau Schulz sagte: »Warum war Krieg?«

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