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- Ausstellung I.N.R.I.: Rheims/Bramly im Deutschen Historischen Museum in Berlin
Jesus-Fotos
»Pietä« in hellblauer Halle. Das schwarz gewandete, modern frisierte Mädchen, frische Blümchen im Haar, blickt ausdruckslos in die Kamera, als trüge es nicht die leblose Last
Foto: DHM
Dieser Tage hörte ich jemanden sagen: Kitsch ist der Stil des Jahrhundertendes. Die Ausstellung des Deutschen Historischen Museums, die der scheidende Generaldirektor Christoph Stölzl seinem Interim-Nachfolger Dieter Vorsteher hinterlässt, schien mir auf den ersten Blick diese Meinung zu bestätigen. Dann hätte ich die Achseln gezuckt. Tatsächlich aber ist sie eines genaueren Hinsehens und einigen Nachdenkens wert.
Just in der Adventszeit, die uns mit reichlich Englein, Lebkuchen, frommen Liedern in Pop-Folklore wie auch Karussells zudröhnt nimmt sich das Museum, das sich als auf atheistischem Ex-DDR-Gebiet angesiedelt empfindet, das Leben Jesu vor und präsentiert mit I.N.R.I. eine neue Bibelillustration. Als erstes Museum stellt es die gemäldegleich großen und dementsprechend - in maßvoll inszenierter Weise - gehängten Farbfotografien zweier Franzosen zu einem Buch aus, das in Frankreich erhebliche Unruhe auslöste. Mancherorts wurde es nur unterm Ladentisch verkauft. Bettina Rheims und Serge Bramly, beide mit abwechslungsreichen Biografien und in der Kunstszene hoch angesehen, waren zuletzt durch ein schockierendes Bildbuch über Prostituierte aufgefallen. Danach entschlossen sie sich, den Text zu illustrieren, der für viele Menschen in einem großen Teil der Welt der Wichtigste sei. Er ist in der Tat der folgenreichste in den letzten beiden Millennien und auch der Stoff der meisten Bild-
werke unserer Kultur, jedenfalls bis zum 19 Jahrhundert. Erstmals wird er nun in Fotografie übersetzt, die ja in letzter Zeit, zusammen mit anderen apparativen Verfahren zur Bilderzeugung, einen immer größeren Sektor der bildenden Kunst erobert. Dass die Bibel in Film oder Fernsehen historisierend und gefühlvoll nachgespielt wird, ist hingegen schon geläufig.
Die französisch-deutsche Atheistin Rheims aus jüdischer Familie, Tochter eines hochdekorierten Kunsthistorikers, und der Fotograf und Kunsthistoriker Bramly haben erklärtermaßen keinen religiösen Grund, dem Leben Jesu nachzugehen, attackieren aber auch nicht die darauf gegründete Lehre. Sie wiederholen dennoch das seit der Renaissance gewohnte Verfahren, der Erzählung durch »Vergegenwärtigung« neue Gläubige zu gewinnen. Sie definieren Gegenwart ersichtlich als die ebenso ruinöse wie sexualisierte Lebenswelt von elegischen, gelegentlich ziellos rebellierenden Aussteigern mit provokativem Modebewusstsein. Jedes Bild ist sorgfältig inszeniert und ausgeleuchtet. 1500 Models aus Agenturen wurden durch ein Casting geschickt, bis diejenigen gefunden waren, die am wirkungsvollsten die Betrachter mitleidheischend anzuschauen vermochten.
Die theologischen und religionswissenschaftlichen Fragen, die sich z.B. mit einer weiblichen Gekreuzigten, den homoerotischen Jesus-Apostel-Beziehungen, der läppischen Bergpredigt-Performance, den Wunderheilungen an Debilen oder dem zum ruinierten Gangsterboss gemachten
Pontius Pilatus verknüpfen mögen, sollen uns nicht beschäftigen. Es braucht auch nicht unsere Sorge zu sein, ob der Wanderprediger in Galiläa dadurch neue Anhänger gewinnt, dass er beispielsweise als ratloser Anführer einer unentschlossenen Clique auf einem verkommenen Rangierbahnhof erscheint. Gewichtig als ein aktuelles Kultursymptom muss aber wohl gelten, dass das auch den Autoren des aufwändigen Projektes letztlich gleichgültig bleibt, und dass sie uns eine Bilderzählung vorlegen, deren gesamte Personnage niemals zu begreifen scheint, worum es eigentlich geht. Wie soll es dann ein Betrachter begreifen?
Der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler registriert einige einprägsame Szenen und starke Bilderfindungen (Die Schriftgelehrten quälen den Jesusknaben mit Buchstaben), sowie die Wirksamkeit verfremdender Motive wie der Maria mit der Christuspuppe, hingegen das Versagen der Fotografie vor Spirituellem (ganz lächerlich etwa die Taufe Jesu) und den Verzicht auf Massenszenen, obwohl sie eine Stärke der Fotografie sein können und in bisheriger Kunst stets die sozialhistorische Bedeutung des Themas unterstrichen.
Vor allem aber wird eines deutlich: Keines der zahlreichen Fotos, die bewusst den zitierenden Dialog mit gemalten Meisterwerken der Vergangenheit aufnehmen, z.B. mit Petri Fischzug vor Alpenlandschaft von Konrad Witz, dem von den Füßen her gesehenen toten Christus von Mantegna, dem Ungläubigen Thomas von Caravaggio (in der Potsdamer Bildergalerie) oder spanisch-barocken Schmerzensmanndarstellungen, erreicht auch nur annähernd die emotionale Eindringlichkeit der »handgemalten« Bilder, bei denen Gestaltgebung immer auch Interpretation, Sinngebung bewirkt. Geschminkte Durchschnittsgesichter gedan-
kenloser Models lösen kein Nachdenken aus, auch nicht, wenn sie mit Blut geschminkt sind. Fotografie kann zweifellos eine hervorragende realistische Kunst sein. Diese hier ist es nicht.
Berlin, Deutsches Historisches Museum im Kronprinzenpalais, Unter den Linden 2, bis 29.2.2000 tägl. außer mittwochs 10-18 Uhr, Eintritt frei. Buch (Gina Kehayoff Verlag München), 220 S., 130 Farbabb., 128 DM; Kalender 2000 m. 19 Farbabb., Text v. Christoph Stölzl, 34,80 DM
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