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- ? Illustrierte Historie -(un)heiliqe Kreuzzüge
Der Waffengang des Abendlandes
Es ist selbst auf 400 Seiten ein wagemutiges Unterfangen, den ausgedehnten und schwierigen Komplex der Kreuzzüge darzustellen. Dies nicht nur, weil es sich um eine Schlüsselperiode der europäischen Geschichte handelte, die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten erstreckte und entsprechend schwierig zu fassen ist. Sie wirft Fragen auf, die auch heute von Belang sind, nämlich die nach Ursprung und Form der ersten organisierten Gewaltexplosion des Abendlands.
Niemals vorher hatte es auf ehemals weströmischem und germanischem Boden eine derartige Bewegung gegeben: aggressiv in der Zielsetzung, multiregional in der Zusammensetzung, ideologisch als christliche Befreiung des Heiligen Landes ausgewiesen, sozial auf die neuen Kräfte des Rittertums und der Handelsstädte gestützt und vor allem Massaker, einen beständigen Aderlass und eine beständige christlich-muslimische Kon-
frontation hervorbringend. Der militärische Gewinn dieser feudalistisch-frühkapitalistischen Expansion war gering und wenig dauerhaft, der geistige der Begegnung mit einer fremden und in vielem überlegenen Kultur erstand weniger über das nahöstliche Abenteuer der Christenheit als vielmehr via Sizilien und Spanien. An dieser geschichtlichen Tragweite muss sich eine heutige Darstellung des Kreuzzugsphänomens messen lassen. Je mehr sie jener gerecht wird, desto treffsicherer wird auch die Aussage über seinen Beitrag zur Herausbildung der europäischen Identität und sein Fortleben in die Gegenwart ausfallen.
Jonathan Riley-Smith, britischer Altmeister der Kreuzzugsforschung, hat diesen Band »Illustrierte Geschichte der Kreuzzüge« bei Campus herausgegeben. Die Zeit ist gut gewählt, denn vor just 900 Jahren eroberten und verwüsteten die Kreuzfahrer nach einem mehrjährigen, entbehrungsreichen Feldzug die Heilige Stadt. Der Herausgeber beansprucht, den aktuellen Forschungsstand zum Thema zu versammeln. Entsprechend behandeln die Beiträge (fast ausnahmslos britischer
Wissenschaftler) die Historiographie der Kreuzzüge, ihre Ursprünge und ihren Ablauf, die Mentalität der Kreuzfahrer, die kulturelle und politische Physiognomie des lateinischen Orients, die Geschichte und Struktur der Ritterorden, den Islam in der Konfrontation und schließlich das Weiterwirken des Kreuzzugsbildes und -gedankens. Sie liefern in der Tat einen fundierten Überblick, sorgfältig redigiert und ausgezeichnet illustriert - insofern ein wertvolles, informatives Handbuch.
Dennoch geht diese Leistung in zwei Bezügen fehl. Sie trägt vor allem ereignisgeschichtliche Befunde vor, und dies auch noch in einer schier enzyklopädischen und daher verwirrenden Fülle. Struktur-, sozial- und mentalitätsgeschichtliche Herangehensweisen sind dagegen nur ansatzweise vertreten (am meisten und besten noch in den Beiträgen von Riley-Smith selbst). Weder erhält die sozialreligiöse Reformbewegung des 11. Jahrhunderts noch die expansive Sozialökonomie des Feudalismus eine ausreichende Würdigung; in beiden aber sind die entscheidenden Triebkräfte der Kreuzzugsbewegung zu sehen. Eine vorwiegend politisch-
institutionelle und spirituelle Ursachenanalyse geht daran vorbei, so wichtig ihre Ergebnisse auch sind. Diese Engführung wird in dem Buch nicht mehr verlassen. Infolgedessen bleibt sowohl die historische Soziologie der Kreuzfahrtbewegung wie die Phänomenologie ihrer Aktionen weitgehend ausgeblendet - von den Pogromen an den Juden des Rheinlandes bis zum Blutbad in Jerusalem. Natürlich ist das nicht alles, jedoch die Speerspitze eines Waffengangs, die bis heute im kulturellen Körper des Abendlandes steckt. Entgegen dem Anspruch des Bandes finden wir daher über den spezifischen Beitrag der Kreuzzüge zur Genese der europäischen Identität recht wenig. Hier rächt sich vorwiegend deskriptiver Charakter.
Wir erfahren, dass sich der Kreuzzugsgeist in mannigfachen Formen fortpflanzte: in den antitürkischen Kriegen, bei den Malteserrittern, in militärischen Aktionen des 19 und 20. Jahrhunderts bis hin zum Kreuzzug der freien Welt gegen den Nationalsozialismus. Allerdings fehlen hier seine folgenreichen Manifestationen in der spanischen Eroberung der Neuen Welt und im Kolonialismus insgesamt. Beide waren dem durch die Kreuzzüge generierten und befestigten anthropologischen Modell eines feindseligen und gewaltbehafteten Umgangs mit der Fremde verpflichtet - beide wirken in aktuellen Formen des Rassismus, der Fremdenfeindschaft und internationaler Polizeiak-
tionen nach. Auch in einer polykulturellen westlichen Welt ist insofern das Kreuzzugsdenken nicht erloschen, auch wenn es sich in ganz anderen Formen äußert. Mehr noch ist es zur Chiffre rücksichtslos radikalen Handelns geworden, mit dem das Missliebige ausgemerzt oder verbannt wird. Ihre Spuren finden wir in der Krankheits- und Bakterienphobie wie in der »grünen Revolution« und Gentechnik, mit der der Natur an den Hals gegangen wird, aber auch in der unumwundenen Herrschaft des Marktes über das Soziale. Es sind dies zugegeben schwierig zu erfassende Ableger der Kreuzzugsbewegung, die hier zu Recht erst einmal ausführlich vorgestellt wird. Aber: Etwas mehr politische Neugier hätten dem Band gut getan. Eine Geschichte, die im Expertengehege verbleibt, ist halbiert und berührt über ihre konventionellen Antworten hinaus weder ihre subkutanen Botschaften noch sich aufdrängende Fragen. Sie zu stellen ist alles. Sie zu beantworten mühselig genug. Dafür liefert das Buch eine Absprungbasis - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
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