Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

mm Wo die Zeit zum Luxus wird

Bei den Glashütter Uhrenherstellern gelten Komplikationen als erwünscht und Langmut als Zierde Von Hendrik Lasch

  • Lesedauer: 6 Min.

Uhrenbauer Wolfgang Ebert, seit 1955 in der Glashütter Firma

Foto: Wolfgang Schmidt

Gut Ding wird Weile haben: Die Pretiosen, an denen die Uhrenhersteller im sächsischen Glashütte arbeiten, sind nicht nur für die Handgelenke der Besserverdienenden gemacht, sondern auch für die Ewigkeit.

Eine Hustenattacke erschiene fatal. Selbst einem unterdrückten Niesen dürften die linsengroßen Zahnrädchen aus Messing, die in einer Schachtel der Vereinigung mit nadeldünnen Wellen harren, keine gewichtigen Argumente entgegenzusetzen haben. Also ringt der Besucher das Kratzen in der Kehle nieder angesichts graziler Federn, zerbrechlicher Brücken und Kugellager von der Größe einer Streichholzkuppe. Eher passt ein Wollfaden durch ein Nadelöhr, als dass dieses Rädchen und die Welle zueinander finden, meint der Ahnungslose. Und doch fügen ein befeuchteter Finger und eine Pinzette das mikroskopisch kleine Getriebeteil zusammen.

Schwierig ist nicht die Herstellung der hauchfeinen Teile, sagen die Uhrenhersteller im sächsischen Glashütte. Schwierig ist, sie wiederzufinden. Spürsinn ist offenbar besonders in den frühen Stadien der Produktion gefragt. Dort dürfen noch einige Maschinen ans Uhrwerk. Und das, obwohl man in Glashütte nach Jahrzehnten der Fließbandproduktion den Begriff »Manufaktur« wieder wörtlich nimmt und nicht nur fast alle Uhrenteile im eigenen Haus fertigt, sondern dabei auch weitgehend auf Handarbeit setzt. Die Maschinen arbeiten zwar akkurat, wenn es um das Fräsen der Zahnräder oder das Bohren der einem Autochassis zu vergleichenden Grundplatte für den späteren Zeitmesser geht, aber ansonsten sind sie leider wenig kooperativ. So zeigt nur ein dickerer Schwall roter Kühlflüssigkeit an, dass irgendwo aus dem Inneren der Drehmaschine 1 'öiri 1 'fertiges Teil purzelt. Bei der t ,dann beginnenden Suche li^ch der,Welle im Drenspanhaufen hilft nur ein plastenes »Sonja«-Kaffeesieb.

Trotzdem darf man getrost unterstellen, dass die Glashütter Uhrmacher kokettieren, wenn es um die notwendige große Kunst zur Fertigung der kleinen Teile geht. Zwar lassen Berichte aus den frühen Zeiten der Uhrmacherkunst im osterzgebirgischen Müglitztal an den beträchtlichen Herausforderungen des Handwerks zweifeln: Ferdinand Adolf Lange, der im Zuge eines kurfürstlich-staatlichen Beschäftigungsprogramms für die verarmte Bergbauregion vor 154 Jahren eine erste Manufaktur begründete, schulte 30 Männer zu Uhrmachern um, die zuvor als Strohflechter gearbeitet hatten.

Doch zum einen gelten die Erzgebirgler - gleich, ob Strohflechter oder Männelschnitzer - ohnehin als äußerst geschickt; zum anderen wurden damals noch pompöse Stand- und gewichtige Taschenuhren gefertigt. Erst in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts erkannte man quasi in letzter Minute den Trend zum Zeitmesser am Handgelenk - was nicht zuletzt hieß: Alle Teile werden drei Nummern kleiner. Also müssen die Rädchen für Glashütter Chronometer nicht schlicht millimetergenau ineinander greifen, sondern fliegen in die Ausschusskiste, wenn sie zwei Hundertstel Millimeter von der Ideallinie abweichen.

Zu den sechs edelsten Uhrenherstellern der Welt zählt die Glashütter Uhrenbetrieb GmbH, die vor fünf Jahren aus den kläglichen Überresten eines einst 2500 Mitarbeiter zählenden volkseigenen Betriebes hervorging, aber nicht vorrangig wegen eines besonders ausgeprägten Hangs zur Miniaturisierung. Im Gegenteil: Die meisten der Zeitmesser ruhen auffällig gewichtig am Handgelenk ihrer Träger. Daran sind zum einen vielerlei Komplikationen schuld. Die sind bei Uhrmachern unbedingt erwünscht und bezeichnen mechanische Kabinettstückchen, dank derer Uhren mehr können als Stunden und Minuten anzuzeigen.

Die Rädchen für die Chronometer fliegen in die Ausschusskiste, wenn sie zwei Hundertstel Millimeter von der Ideallinie abweichen.

Je höher dabei der Schwierigkeitsgrad, umso phantasievoller offenbar der Name: Ein »Fliegendes Tourbillon« gleicht dank einer speziellen Lagerung von Unruh und Anker nicht nur die Erdschwerkraft aus, sondern scheint dem schlichten Chronometer auch magische Kräfte zu verleihen. Und Handwerkern, die ihre Zeitmesser mit so etwas poetischem wie einer »Schwanenhals-Feinregulierung« versehen, muss man auch zugestehen, dass sie - wie bei fast allen Glashütte-Original-Uhren - für die Böden Saphirglas statt Edelstahl verwenden. Man will ja schließlich zeigen, was man hat.

Diese Devise ist wohl das eigentliche Geheimnis der Glashütter Wiederauferstehung: Während im Müglitztal bis 1989 Uhren fürs Volk und für westdeutsche Versandhäuser vom Band liefen, wird in den heutigen Uhrenmanufakturen die Zeit zum Luxus. Dabei profitiert man vom Umstand, dass Nischenprodukte den Uhrmachern auch in der Vergangenheit eine ho-

he Kunstfertigkeit abverlangten. Heute zählt in den insgesamt vier ortsansässigen Manufakturen nicht mehr die Quantität, sondern der geistige Mehrwert. Zwar zergliedern auch hiesige Chronometer die Tage mit unerschütterlicher Unerbittlichkeit. Doch Antrieb ist nicht das hektische Pulsieren eines Quarzes, sondern das gleichmütige Schwingen von Federn.

Mechanische Uhren aber, raunen Kenner und die höchst erfolgreichen Marketingfachleute der Edeluhren-Hersteller, verkörpern ein entspannteres Verhältnis zur Zeit: Wie guter Wein werden sie mit zunehmendem Alter immer besser. Nicht zufällig liegt neben dem zarten Sekundenzeiger der Ewige Kalender, der nicht nur Wochentage und wechselnde Mondpha-

sen anzeigt, sondern dank komplexer Rädermechanik auch die Schaltjahre kennt und das immerhin für eine kleine Ewigkeit. Zwar scheitern selbst die geschicktesten Uhrenhersteller an den letzten Tücken und Ausnahmen des Gregorianischen Kalenders. Doch der Besuch beim Fachmann wird erst im Jahr 2100 fällig, wenn wieder ein Schalttag außerplanmä-ßig ausfällt. Im Gegensatz zu quarzbetriebenen Zeitgenossen werden ihre Uhren dieses Datum auch erleben, versichern die Glashütter.

Das von solch ausdauernden Zeitmessern verkörperte entspannte Verhältnis zur Zeit setzt freilich eine ebenso legere Attitüde zum Geld voraus: Der Einstiegspreis für eine Glashütte Original liegt knapp unter 4000 Mark. Etwas preiswerter sind die im gleichen Haus hergestellten Uhren der Marke »Union«. Auch die puristischen Zeitmesser der 1992 als erste Glashütter Neugründung entstandenen Marke »Nomos« gibt es schon ab 1250 Mark. Dagegen gilt die ortsansässige Konkurrenzmarke Lange & Söhne, mit der die Uhrenbetriebs GmbH als Rechtsnachfolger des VEB jahrelang erbittert um Namensrechte prozessierte und mit der man sich nun in die Referenzen auf den Gründervater und das Gründungsjahr der hiesigen Uhrenherstellung teilt, als teuerste Uhrenmarke der Welt - Durchschnittspreis: 27 700 Mark.

Glashütte Original konnte aber offenbar nicht umhin, noch eins draufzusetzen: Die ebenfalls nach einem Pionier der örtlichen Uhrenproduktion benannte »Julius Assmann« mit Ewigem Kalender, von der lediglich 25 Stück gebaut wurden, gilt mit einem Preis von 290 000 Mark als teuerste jemals in Deutschland gebaute Uhr. Dem Absatz tut das keinen Abbruch. Zwar hörten viele der damals noch 74 Hinterbliebenen das letzte Stündlein der Glashütter Uhrenproduktion läuten, als der unterfränkische Uhrenfanatiker Heinz W. Pfeifer vor fünf Jahren als neuer Besitzer der Manufaktur von Luxusuhren zu sechsstelligen Kaufpreisen schwärmte. Heute aber rinnt den 110 Mitarbeitern beim Abarbeiten der Bestellungen förmlich die Zeit durch die Finger.

Obwohl etwa 8000 Uhren im Jahr gebaut werden, muss man auf die preiswerteren Exemplare ein halbes Jahr warten; die edleren Pretiosen, zu deren Trägern der Popstar Michael Jaeksöri und oder Aristokraten wie Geza von Habsburg ebenso gehören wie neureiche Jung-Börsianer, verlangen ihren künftigen Besitzern bei Lieferzeiten von ein bis zwei Jahren schon im Voraus eine gewisse Langmut ab. Die Glashütter gestehen, dass dafür nur bedingt die aufwändige Handarbeit verantwortlich ist. Zwar werden selbst tief im Werk verborgene Rädchen in bis zu vierstündiger Handarbeit spiegelblank poliert oder mit ornamentalen Schliffen versehen - aus purer Lust an der Perfektion. Daneben aber gilt das lange Warten gewissermaßen als Reifeprüfung für die gutbetuchten Kunden. Denn: In Glashütte ist Zeit eben nicht schlicht Geld, sondern Luxus.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.