Wachsende Verzweiflung in Athen

Griechische Regierung und Troika weiter auf der Suche nach einer Einigung

  • Anke Stefan, Athen
  • Lesedauer: 3 Min.
Er führe »den Kampf seines Lebens«, sagte der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras dem »Handelsblatt« in Bezug auf die Krise in seinem Land. Mit der Gläubigertroika verhandelt die Regierung noch immer über die nächsten Sparmaßnahmen.

Seit Wochen ringt man in Athen um eine Einigung sowohl innerhalb der Dreiparteienregierung als auch mit der Gläubigertroika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) um Höhe und Zusammensetzung der Einsparungen im griechischen Staatshaushalt für die nächsten beiden Jahre. Doch die von Finanzminister Giannis Stournaras immer wieder als kurz bevorstehend angekündigte Einigung lässt weiter auf sich warten. Bis zum Treffen der Euro-Finanzminister am Montag nächster Woche solle sie aber erzielt werden.

Ohne die neuen Kürzungen werde Athen keine weiteren Mittel aus bereits bewilligten Krediten mehr bekommen, droht die Troika dem trotz Schuldenschnitt und Verabschiedung mehrerer Sparpakete immer tiefer in die Krise rutschenden Mittelmeerstaat. Bereits im August ist eine Kredittranche in Höhe von 31 Milliarden Euro fällig gewesen. Gleichzeitig mehren sich Anzeichen dafür, dass die Sparkur Griechenland wirtschaftlich in den Ruin treibt. Das Land hat seit 2008 bereits 20 Prozent seiner Wirtschaftsleistung eingebüßt. Erst am Mittwoch berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Troika auch für 2013 von einem weiteren Rückgang in Höhe von fünf Prozent ausgeht.

Bei den Gläubigern ist jedoch kein Anzeichen eines Umdenkens zu bemerken, im Gegenteil. Schien die Troika bis vor kurzem noch bereit zu sein, ihre Forderung nach Entlassung von mehreren zehntausend Staatsangestellten zugunsten einer Variante der schrittweisen Frühverrentung zurückzunehmen, berichtete die griechische Zeitung »To Vima« nun von einer Wiederaufnahme der harten Linie.

In der Bevölkerung wächst derweil der Unmut gegen weitere Kürzungen. Am Donnerstag hatten die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY zu Protesten vor dem Arbeitsministerium in Athen aufgerufen. Rund 100 Angestellte einer Schiffswerft waren vor das Verteidigungsministerium gezogen, um dagegen zu protestierten, dass seit mehreren Monaten ihre Gehälter nicht mehr gezahlt werden. Ihr Arbeitgeber Hellenic Shipyards ist von der Pleite bedroht. Am Abend fanden mehrere Kundgebungen von Anhängern der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) statt.

Bereits am Mittwoch waren landesweit erneut die Beamten auf die Straße gegangen. Sie wehren sich nicht nur gegen neue Einschnitte in ihre bereits um 30 bis 40 Prozent geschmälerten Einkünfte, sondern auch gegen die den Gemeinden auferlegten Mittelkürzungen.

Auch im Regierungslager beginnen sich Risse zu zeigen. »Die Gesellschaft liegt auf den Knien und wir müssen ihr Luft verschaffen«, sagte Justizminister Antonis Roubakiotis am Mittwoch auf einer Veranstaltung der Richtergilde des Landes. Deren Angehörige legen bereits seit Anfang des Monats aus Protest gegen die für sie geplanten drastischen Gehaltskürzungen täglich um 10 Uhr die Arbeit nieder. Die Koalitionspartei PASOK hat bereits erste Verluste zu vermelden. Bei der Vorstellung seines Buches »Thesen für die neue griechische Regeneration« kündigte der ehemalige Arbeitsminister Andreas Loverdos die Gründung einer eigenen Partei an.

Statt aber einen Richtungswandel zu erzwingen, betätigt sich die griechische Regierung nun als humanitäre Hilfsorganisation. Am Mittwoch stellte Agrarminister Athanasios Tsaftaris im Parlament ein 23 Millionen Euro schweres Programm für Lebensmittelspenden an 800 000 Notleidende vor. Bereits im September hatte Bildungsminister Konstantinos Arvanitopoulos angeregt, dass die seit Monaten unbezahlten Lehrkräfte der staatlichen Schulen in den Offiziersmessen einen kostenlosen Mittagstisch erhalten.

Andere Politiker scheinen keinen Ausweg mehr zu sehen. So wurde bekannt, dass sich der ehemalige griechische Innenstaatssekretär Leonidas Tzannis am Donnerstagabend das Leben nahm. Die Medien stellten den Tod des PASOK-Politikers in einen Zusammenhang mit Geldwäschevorwürfen. Der frühere Staatssekretär war vor kurzem auf einer Liste mit Namen von Personen aufgetaucht, die in entsprechende Affären verwickelt sein sollen. Tzannis ist der erste griechische Politiker, der sich nach Ausbruch der schweren Finanzkrise selbst tötete.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -