Furcht vor Privilegienverlust

Politik und Wirtschaft bleiben verflochten - trotz Eindämmungsversuche

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 8 Min.
Nicht nur in Bananenrepubliken bestimmt der sprichwörtliche Filz zwischen Politik und Wirtschaft das tägliche Geschäft. Solche Verflechtungen sind auch in Deutschland regelmäßig Gegenstand von Kritik. Mit Peer Steinbrücks Nebentätigkeit als Vortragsreisender ist diese nur wieder etwas lauter geworden.

Der SPD-Kanzlerkandidat schlägt der Bundeskanzlerin einen Wahlkampfkodex vor. Verhaltensregeln für einen fairen Umgang im bevorstehenden Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013. Die Erfahrung der letzten Tage ist ihm Anlass, Peer Steinbrück hat mehrfach erklärt, dass er sich aus taktischem Kalkül von der Regierungskoalition angegriffen, also ungerecht behandelt sieht. Tatsächlich haben Union und FDP sich stets allen Versuchen widersetzt, im Bundestag zu einer Regelung für den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung zu kommen oder Korruption, Sponsoring von Parteien und Parteispenden zu verbieten oder wenigstens mit straffen Auflagen zu versehen.

In einem Zwischenruf von Unions-Fraktionschef Volker Kauder während einer Rede von Raju Sharma (LINKE) im März dieses Jahres zeigt sich der grundlegende Unwille, etwas von den gewohnten Privilegien preiszugeben. »Wie ärmlich muss denn das Ambiente sein, in dem wir tagen dürfen?«, rief Kauder und meinte damit die Bewirtung von Abgeordneten durch Lobbygruppen. Peer Steinbrück hat also recht mit seinem Vorwurf, ausgerechnet die Vertreter jener Fraktionen, die eine gesetzliche Regelung bisher verhinderten, rupften nun genüsslich ihr Hühnchen mit ihm. Sein Vorschlag, Nebenverdienste von Abgeordneten künftig »bis zum letzten Cent« anzugeben, wirkt dennoch unglaubwürdig, wenn er sich zugleich weigert, die eigenen Honorare offenzulegen.

Nach Gesetzentwürfen der Linksfraktion im Jahr 2010 und den Grünen 2011 hat auch die SPD in diesem Jahr einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der die Abgeordnetenbestechung unter Strafe zu stellen beabsichtigt. Und wenngleich dieser vorsah, dass Zuwendungen, die »parlamentarischen Gepflogenheiten« entsprechen, ausgenommen werden sollen, war es doch wenigstens der Versuch einer Regelung. Er ist wie die Anträge der LINKEN und Grünen sowie mehrere weitere Initiativen der Opposition gegen die Verflechtung von Politik und Wirtschaft von der Regierungsmehrheit blockiert worden.

Dabei ist Deutschland zur gesetzlichen Regelung sogar verpflichtet. In der UN-Konvention gegen Korruption ist vereinbart, dass Bestechung und Bestechlichkeit von Abgeordneten unter Strafe zu stellen sind. In einem Bericht der Staatengruppe gegen Korruption war Deutschland für seine Defizite kritisiert worden. Rot-Grün hatte die Konvention 2003 zwar unterzeichnet, eine Ratifizierung durch das Parlament steht aber bis heute aus. Und auch die Tatsache, dass Ende Juni die Frist abgelaufen ist, innerhalb derer eine gesetzliche Regelung hätte getroffen werden müssen, löst in der Regierungskoalition bisher kein erkennbares Unbehagen aus.

Auch die Organisation LobbyControl sieht in Union und FDP die Urheber der jahrelangen Blockade. »Es gibt berechtigte Kritik an Steinbrück. Aber das Problem ist größer als Steinbrück«, sagte Geschäftsführer Ulrich Müller im Gespräch mit dpa. Bestimmte Vorträge hätte Steinbrück allerdings nicht halten dürfen, meint Müller. Dazu gehöre etwa ein Interview für den Baukonzern Bilfinger Berger und ein Vortrag bei einer Berater-Kanzlei des Bundesfinanzministeriums, in dem Steinbrück Ressortchef der Großen Koalition bis 2009 war. »In beiden Fällen gibt es eine zu enge Beziehung zu seiner Tätigkeit als Minister vorher.«

Die Organisation »abgeordnetenwatch« hatte vor Tagen mit einer bemerkenswerten Zahl aufgewartet: Seit 2009 verdienten die Abgeordneten des Bundestages mindestens 22,5 Millionen Euro neben ihren Diäten. 192 der 620 Parlamentarier erzielten Einkünfte zusätzlich zu ihren Abgeordnetenbezügen, mithin fast jeder Dritte. 126 Abgeordnete hätten einen Nebenverdienst in der Höchststufe 3 (»über 7000 Euro«) angegeben. Die weitaus meisten davon kamen aus der Union (77), gefolgt von FDP (25), SPD (17), LINKE (5), Grüne (2).


Spenden an Parteien

Erst bekam die FDP eine Millionenspende aus der Mövenpick-Hotelgruppe, dann boxte sie die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels durch. Dass das kein Zufall war, wird inzwischen über Parteigrenzen hinweg geteilt. Ein »Geschmäckle« hatten auch die mehr als eine Million Euro, die aus dem Umfeld der Deutschen Vermögensberatungs AG (DVAG) im Wahlkampfjahr 2009 an CDU und FDP flossen. Die DVAG freute sich anschließend über das Vorhaben der Koalition, auch in der Pflege private Zusatzversicherungen zu fördern und damit Finanzdienstleistern einen neuen lukrativen Markt zu eröffnen. Oft verteilen Unternehmen ihre Wohltaten aber auch einigermaßen gleichmäßig an die Parteien (mit Ausnahme der LINKEN), um sich mit allen potenziellen Entscheidern gut zu stellen.

Dass sich Parteien zum Teil über Spenden finanzieren, ist nicht verboten. Diverse Parteispendenaffären wie die 1999 bekannt gewordenen Schwarzgeldkonten der CDU unter Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl haben jedoch bewirkt, dass die Öffentlichkeit inzwischen stärker wissen will, wer, wann, wie viel an wen überweist. Seit zehn Jahren müssen Spenden ab einer bestimmten Größenordnung veröffentlicht werden, um mögliche Zusammenhänge zwischen politischen Initiativen und vorherigen Finanzspritzen nachvollziehen zu können. Demnach müssen Parteien Spenden ab 10 000 Euro in ihrem Rechenschaftsbericht angeben, Großspenden über 50 000 Euro sind unverzüglich beim Bundestagspräsidenten anzuzeigen und erscheinen im Netz.

Die hohe Veröffentlichungsschwelle ist umstritten. Die Mehrzahl der Spenden liegt unter der 10 000-Euro-Grenze und taucht daher nirgendwo auf. Auch die Transparenz durch die Rechenschaftsberichte ist begrenzt, denn die Veröffentlichung erfolgt erst über ein Jahr nach Eingang der Spende. Interessante »Zufälle« lassen sich dadurch schwerer herausfinden. Bekannt geworden ist auch, dass Unternehmen, Lobbyverbände und Privatpersonen ihre Großspenden stückeln und damit die Transparenzregeln aushebeln.

Seit ein paar Jahren lässt die Spendenbereitschaft von Unternehmen nach. Zum Teil verlagern sie ihre Einflussnahme auf weniger öffentlich nachvollziehbare Modelle wie das Sponsoring. IW


Verdeckte Zuschüsse durch Sponsoring

Sponsoring hat an Bedeutung gewonnen, auch in dem Maße, wie Parteispenden strenger - also transparenter - geregelt werden. Bei Parteitagen sind Unternehmen und Verbände mit Werbeständen und Lobby-Personal vor Ort. Sie zahlen eine Standmiete von oft mehreren hundert Euro pro Quadratmeter und bekommen dafür Zugang zu politischen Entscheidern geboten. Daneben sind es vor allem Sommerfeste und andere Veranstaltungen von staatlichen Behörden, die durch Unternehmen finanziert werden. So hat Christian Wulff seinerzeit die Kosten für seine Wahlparty zum Bundespräsidenten nicht selbst getragen, sondern sich und 80 weitere Personen vom Event-Manager und Lobbyisten Manfred Schmidt einladen lassen.

Ähnliche Partyangebote nahmen Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit und die ehemalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt an. Sponsoring hat für Parteien und Sponsoren zwei Vorteile: Die Geldflüsse tauchen nicht in den Rechenschaftsberichten der Parteien auf. So ist derzeit weder die Gesamtsumme der Sponsoringeinnahmen öffentlich bekannt, noch einzelne Sponsoren. Zudem können Unternehmen ihre Sponsoringausgaben steuerlich absetzen, anders als Parteispenden. Die Kosten für die Lobbytätigkeit trägt also die Allgemeinheit. Kritiker sehen in Sponsoring verdeckte Parteispenden und fordern neben mehr Offenheit auch, das Sponsoring von Parteiveranstaltungen ganz zu verbieten.

Eine besondere Finanzierungsidee der CDU in Nordrhein-Westfalen und Sachsen sorgte 2010 für Aufregung. Die CDU bot damals Gespräche mit ihren Ministerpräsidenten gegen Geld an. So konnten in NRW Sponsoren des Landesparteitages für 14 000 Euro einen Stand im Foyer plus Fototermin und Rundgang mit dem Ministerpräsidenten und den Ministern erwerben. Ein privates Einzelgespräch mit Jürgen Rüttgers kostete weitere 6000 Euro. In Sachsen lockte die CDU zu der Veranstaltung »Denkfabrik Sachsen« mit einem Baukasten-Angebot: Für Beträge zwischen 500 und 8000 Euro waren ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten, ein Banner auf der Internetseite bis hin zur Erwähnung in der Rede des Generalsekretärs zu kaufen. Der Skandal war groß, hatte aber keine Konsequenzen. IW


Drehtür Politik

In Bundes- und Landesministerien arbeiten Angestellte von großen Unternehmen und Verbänden und wirken an Gesetzen mit. Zeitgleich zu ihren Tätigkeiten in den Ministerien werden sie weiter von ihren eigentlichen Arbeitgebern, den Unternehmen und Verbänden, bezahlt. 2006 wurde dies erstmals bekannt. In den letzten Jahren wurde die Praxis auf öffentlichen Druck hin beschränkt, so dass heute deutlich weniger Lobbyisten in Ministerien sitzen. Nach dem Bericht zum »Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung« für das zweite Halbjahr 2011 sind besonders zwei Mitarbeiter des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) brisant, die im Auswärtigen Amt und im Entwicklungsministerium eingesetzt werden. Der BDI-Mitarbeiter im Auswärtigen Amt soll sich etwa mit folgenden Themen beschäftigen: »Investitionsgarantien, Organisation von Projekten der Außenwirtschaftsförderung und der strukturellen Verbesserung der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsverbänden«. Manchmal schaffen es Lobbyisten sogar direkt in ein Ministeramt. So wurde in Berlin die ehemalige Pharma-Lobbyistin Cornelia Yzer neue Wirtschaftssenatorin.

Die Türen öffnen sich aber auch in umgekehrte Richtung: So wechselte Ex-Kanzler Gerhard Schröder nach der Wahl zu dem Gasunternehmen, für dessen Pipeline-Projekt er sich während seiner Regierungszeit eingesetzt hatte. Der ehemalige CSU-Bundeswirtschaftsminister Michael Glos arbeitet heute nach Angaben von Lobbycontrol als Berater für einen Finanzinvestor. Ähnliche Beispiele gibt es zuhauf.

Kritiker fordern eine Karenzzeit für Seitenwechsler. Nach ihrem Ministeramt sollten Politiker mindestens drei Jahre nicht als Lobbyisten arbeiten dürfen. Ein verpflichtendes Lobbyregister, wie es seit 1995 in den USA geführt wird, würde aus ihrer Sicht ebenfalls die Transparenz erhöhen. IW


Korruption ohne Konvention

Der Paragraf 108e im Strafgesetzbuch zur Abgeordnetenbestechung wurde seit seiner Einführung 1994 nur einmal angewendet. Kein Wunder, sagen Kritiker, stellt er doch ausschließlich den direkten Kauf von Stimmen vor einer Abstimmung unter Strafe. Zudem bezieht sich der Passus nur auf Abstimmungen in den Plena von Europaparlament, Bundestag oder Lokalparlamenten. Die Beeinflussung von gewählten Vertretern müsse jedoch in allen Bereichen geregelt werden, fordern Kritiker wie Transparency International. »Korruption erschüttert das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Politik, Verwaltung und Geschäftsverkehr«, schrieb die Linksfraktion in einem Gesetzentwurf zur Abgeordnetenbestechung. Deutschland hat die UN-Konvention gegen Korruption seit 2003 nicht ratifiziert. Denn dafür müsste der Paragraf 108e strenger formuliert werden. 26 der 30 DAX-Unternehmen forderten in diesem Jahr die Ratifizierung der UN-Konvention, doch die schwarz-gelbe Koalition lehnt dies ab - die freie Mandatsausübung sei gefährdet, sollte die Staatsanwaltschaft sich dafür interessieren, wenn sich Abgeordnete mit Lobbyisten treffen. JME

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