Biete Praxisgebühr, suche ...
Im Politikpoker der Bundesregierung könnte die unnütze Zuzahlung beim Arzt demnächst zu Fall gebracht werden
Noch steht das Thema Praxisgebühr nicht auf dem Beratungsplan der schwarz-gelben Koalition, doch die Chancen steigen täglich. Zuletzt mit den Wortmeldungen der Bundeskanzlerin und ersten Stimmen aus der CSU.
Seit 2004 zahlen Patienten vom 18. Lebensjahr an für jeden ersten Quartalsbesuch beim Arzt, Zahnarzt, Psychotherapeuten oder im Notfall zehn Euro. Die Begründung für diese Regelung aus dem GKV-Modernisierungsgesetz 2003: Man wolle die Zahl überflüssiger Arztbesuche reduzieren und die Finanzkraft der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stärken. Wie sich schnell herausstellte, ging keine von beiden Absichten in Erfüllung. Knapp zwei Milliarden Euro trugen nicht ausreichend zu einem ausgewogenen Finanzergebnis der gesetzlichen Kassen bei, und die Zahl der Arztbesuche nahm ausgerechnet bei jenen ab, die medizinische Betreuung am dringendsten nötig gehabt hätten, bei Studenten und Arbeitslosen. Die Zahl der Arztbesuche blieb mit durchschnittlich 18 im Jahr hoch.
Auch nicht gerade positiv für die Praxisgebühr wirkte der bürokratische Aufwand - bei der Einzahlung der Gebühr beim Arzt, bei der Ausstellung von Befreiungen für Geringverdienende und chronisch Kranke und bei der Erhebung der Mahngebühren, denn Hunderttausende Patienten blieben die Gebühr schuldig. Ewig dauerte der Streit zwischen Kassen, Ärzten und Politik darüber, wer die Mahnungen herausschickt oder die Prozesskosten bezahlt. Es hätte also in den vergangenen Jahren ausreichend Gründe gegeben, die Praxisgebühr schnell wieder abzuschaffen - wie es beispielsweise die LINKE immer konsequent gefordert hatte. So hofft jetzt auch deren gesundheitspolitische Sprecherin Martina Bunge, dass »diese Abzocke demnächst ein Ende hat« und Parteichef Bernd Riexinger twittert, dass die LINKE eine Abschaffung der Praxisgebühr am 8.11. auf die Tagesordnung des Bundestages setzt und eine Abstimmung erzwingen werde. Selbst die FDP hatte dies lange auf der Agenda, doch deren sonst so wortgewaltiger Gesundheitsminister schwieg meistens zum Thema, offenbar aus Rücksicht auf den Koalitionsfrieden.
In einer Lage, in der die Krankenkassen ein Polster von 25 Milliarden Euro verwalten und immer mehr von ihnen den Versicherten die Praxisgebühr unter bestimmten Bedingungen - beispielsweise bei der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen - erstatten, bröckelt die Allianz der Freunde der Praxisgebühr allerdings spürbar. Zwar hatte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer noch vor kurzem gepoltert, dass er diese Debatte bizarr finde und Ruhe an der Gesundheitsfront bevorzuge, aber Parteikollege Söder darf die Praxisgebühr jetzt öffentlich in Frage stellen - selbstverständlich verbunden mit der Forderung, den gesamten Gesundheitsfonds zu überarbeiten. Es sei schließlich ungerecht, dass er vor allem von Bayern gespeist werde.
Jens Spahn von der CDU spricht nach wie vor in alle Mikrofone, er werbe entschieden dafür, die Gebühr weiter zu erheben. Andere Koalitionsmitglieder machen keinen Hehl daraus, dass mit der Abschaffung der Praxisgebühr die Zustimmung der FDP zu Betreuungsgeld oder Zuschussrente erkauft werden könnte.
Eine Abschaffung der Praxisgebühr in ihrer jetzigen Form könnte allerdings auch heißen, dass künftig bei jedem Arztbesuch eine Gebühr vom Patienten fällig wird, wie es die Arbeitgeber vor Jahren forderten und wie es jetzt erneut in der Bundesregierung sowie unter einigen Ärzten im Gespräch sein soll.
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