Wintersportler gegen Olympiokraten
Ski-Weltverbandspräsident Kasper beklagt den Drang des IOC, den Sport in Großstädten auszutragen
Eigentlich hätte Gian-Franco Kasper gut gelaunt sein können, als er am Dienstag in Cavalese vor die Presse trat. Just am Anreisetag des Schweizers in die Provinz Trentino zum Forum Nordicum, dem jährlichen Kongress der nordischen Sportjournalisten, hatte der Winter erstmals angeklopft: Schnee in Massen - sollte das den Präsidenten des Weltskiverbandes FIS nicht in Hochstimmung versetzen? Mangelte es den Abfahrern, Langläufern, Snowboardern, Skispringern, Kombinierern und Freestylern doch zuletzt immer wieder am passenden Untergrund.
Der 68-Jährige, der auch Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) ist, zeigte sich indes missmutig. Als er über den Stand der Olympiavorbereitungen in Sotschi informierte, geriet Kasper ins Granteln. In Sotschi, wo im Dezember ein Weltcup der Skispringer stattfinden soll, sei beispielsweise an der Schanze noch eine Menge zu tun, der Sprungrichterturm fehle komplett. Bis Dezember müsse dort nun »ein Provisorium« errichtet werden. Aber andererseits sei er sicher, dass dort alles rechtzeitig bis zur großen Eröffnung 2014 fertig werde: Geld sei schließlich in Russland kein Problem, und die 35 000 Arbeiter, die dort rund um die Uhr arbeiteten, würden es sicherlich schaffen. Und was dort in der Schwarzmeerstadt für architektonische Leistungen vollbracht würden, sei beeindruckend. Er habe dort »einen Buckingham Palace neben dem anderen« gesehen. Und frage sich, was damit wohl nach den Spielen geschehe.
Andererseits ist Kasper schockiert, was die Zuschauerkapazitäten in den Skisportarten betreffe. Denn dort wird vor allem bei den wetteranfälligen Sportarten wie Skispringen immer zurückhaltender investiert. Schon vor zwei Jahren sei die Zahl der möglichen Zuschauer beim Skispringen um die Hälfte gekürzt worden, nun sei er mit einer nochmaligen Reduzierung konfrontiert worden. »Skispringen kann aus bautechnischen und Sicherheitsgründen, aber auch wegen Transport- und Verkehrsproblemen, nur noch von 7500 Zuschauern verfolgt werden. Und dazu zählen alle Anwesenden, also auch Journalisten, Sponsoren, olympische Familie.«
Ganz allgemein sieht der Schweizer die Skisportler an den Rand gedrängt: Es gebe eine »tendenzielle Verschiebung in Richtung Großstädte«, in die Stadien und Eishallen der Metropolen. Dort tobe in den riesigen Olympiaparks das Leben, den Skisportlern weit draußen in den Bergen drohe Zweitrangigkeit. »Das sind eindeutig Nebenschauplätze.«
Wer sich die letzten Spiele unter diesem Aspekt noch einmal ansieht, kann Kasper schwer widersprechen. Zu den Medaillenehrungen wurden die Athleten aus den Bergen in die Städte gekarrt, wo sie von Zehntausenden Zuschauern bei Feuerwerk und Popkonzert gefeiert wurden. In den Bergen werden die wenigen Zimmer zu Mondpreisen vermietet, während auf den Straßen der Metropolen Olympiaspuren auf den Asphalt gezeichnet werden. In Sotschi, der 300 000-Einwohnerstadt, wird sich angesichts der Eissport-Begeisterung der Russen keine Trendumkehr gen Sport in der Natur ergeben. Im Gegenteil, Eishockey und Eiskunstlauf werden beim russischen Olympiaturnier für neue Rekordmarken in Sachen Zuschauerzuspruch und Schwarzmarktpreise sorgen
Dass Sportereignisse in den Hallen natürlich viel besser kalkulierbar seien als wind- und wetterbestimmte Wettkämpfe, sieht der Ski-Präsident als großes Problem. Den Bürokraten bei Olympia sei die Planbarkeit des Großereignisses wichtiger als der Sport selbst, klagt Kasper und spricht von »Olympiokraten«: »Skisport in der Halle - es tönt schlimm, aber es geht in diese Richtung!«
Allerdings haben sich auch die nordischen Skiportler zuletzt eine Menge einfallen lassen, um die Massen bei der Stange zu halten. Skilanglauf ist längst sein Knickerbocker-Image los. Es wird auch im Breitensport munter geskatet oder »offtrack gecruist« (also außerhalb der Loipe gelaufen). Auch heutige Sprintwettbewerbe mit K.o.-Rennen über 1,6 Kilometer wären vor zwei Jahrzehnten sicherlich noch undenkbar gewesen - erst recht, wenn sie im Stadion ausgetragen werden wie beispielsweise bei der nordischen Ski-WM 2007 in Sapporo. Selbst in Cavalese war die Urbanisierung des nordischen Skisports kurz Thema: FIS-Skisprung-Direktor Walter Hofer bestätigte Überlegungen, die Skispringer im Nationalstadion von Warschau von einer eigens errichteten mobilen Schanze um Weltcuppunkte springen zu lassen: »Wir prüfen, ob so ein Springen unter exotischen Bedingungen auch einmal möglich sein könnte.« Aber bestenfalls im »Vorwinter als Happening«.
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